DiGA: drohende Schlappe mit Pragmatismus abwenden

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© MQ-Illustrations / Adobe Stock (Collage)
Zwar ist Deutschland mit erstattungsfähigen Apps auf Rezept führend, aber durchgesetzt haben sich die digitalen Gesundheitsanwendungen bis dato nicht. Unser Kolumnist Dr. Gerd Wirtz geht den Ursachen hierfür auf den Grund.

Bei den meisten Statistiken, die den Digitalisierungsgrad im Gesundheitswesen bewerten, landet Deutschland auf den hinteren Plätzen. Mit den Apps auf Rezept, den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), ist Jens Spahn am Ende seiner Amtszeit noch ein großer Coup gelungen. Bisher hat es kein anderes Land geschafft, digitale Anwendungen erstattungsfähig zu machen. Das könnte ein Meilenstein werden, um die medizinische Versorgung unabhängig vom Standort des Patienten zu verbessern und vor allen Dingen, die Therapien zwischen den Arztbesuchen wirkungsvoll zu unterstützen.

Für die Zulassung wurde eigens ein „Fast Track Verfahren“ eingeführt. Allein den Namen finde ich beeindruckend. Dieses Verfahren ermöglicht eine beschleunigte Zulassung für medizinische Apps. Diese haben dann 2 Jahre Zeit, sich in der Anwendung zu bewähren, bevor eine Neubewertung erfolgt. Über dieses Verfahren gibt es bisher 33 erstattungsfähige DiGA.

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Jeden Monat thematisiert Dr. Gerd Wirtz hier die Digitalisierung der Medizin. In seiner Kolumne stellt er die Facetten des digitalisierten Healthcare-Kosmos vor. Die kleinen Geschichten, die skurrilen Begegnungen und die großen Fragen. Digital gedacht, menschlich betrachtet. Immer auf den Punkt und augenzwinkernd kommentiert.

Bis hierhin könnte das der Beginn einer Erfolgsgeschichte sein. Könnte, denn die DiGA werden nicht wirklich mit Begeisterung von den Leistungserbringern aufgenommen und so droht uns eine ähnliche Schlappe, wie bei der e-Patientenakte. Da waren wir auch das führende Land, als die damalige Bundesgesundheitsministerin Ursula Schmidt 2002 die elektronische Patientenakte (e-Pa) als dringliches Projekt aus der Taufe gehoben hatte. 20 Jahre später gehören wir zu den wenigen Ländern, die immer noch keine funktionierende e-Pa haben.

Warum haben die DiGA bisher nicht geschafft, eine höhere Akzeptanz zu bekommen?

Aus meiner Sicht gibt es dafür 3 entscheidende Gründe:

  1. Die Vergütung der Ärzte ist nicht adäquat. Bevor Ärzt:in eine medizinische App verschreibt, muss sie/er wirklich gut informiert sein, was diese App leisten kann und welche Fragen bei der Anwendung auftreten können. Das kostet Zeit und ist arbeitsintensiv.
  2. Die Preisgestaltung der Apps ist, zumindest im ersten Jahr, frei. Das führte dazu, dass einige Hersteller erheblich an der Preisschraube gedreht haben. Die TK nennt in ihrem Bericht eine Schlaf-App, die im ersten Jahr den Preis von 60 € auf 400 € erhöht hat.
  3. Die Rahmenbedingungen für eine Verordnung sind unflexibel. Hersteller konnten selbst eine Mindestdauer zur Nutzung festlegen. Diese liegt zumeist bei 90 Tagen. Das lässt den Einsatz zu einer schwerwiegenden wirtschaftlichen Entscheidung werden.

Das sind keine unüberwindbaren Hürden und eine Teillösung springt mir geradezu ins Auge. Warum kann man nicht pragmatisch über eine Umverteilung der Kosten nachdenken?  Aus Sicht der Krankenkassen sind die Preise der meisten Apps derzeit überhöht. Warum also nicht einvernehmlich die Preise senken und mit dem ersparten Geld eine bessere Incentivierung für die Ärzt:innen schaffen? Die Hersteller könnten den entgangenen Gewinn schnell über höhere Absatzzahlen wieder ausgleichen.

Wenn man dann noch an dem Erwartungsmanagement für den Effekt der Apps auf Rezept arbeitet und statt der 90 Tage Verordnung auch kürzere Testzeiträume einführt, könnten Ärzt:in und Patient:in feststellen, ob diese Therapiehilfe im individuellen Fall passt.

DiGA haben ein großes Potenzial, die flächendeckende Versorgung zu verbessern und Therapien effektiver zu machen. Dieses Potenzial sollten wir nutzen! Mir hat die agile Arbeitsweise des früheren Ministers Spahn sehr gut gefallen. Er hat Projekte vorangetrieben, mit dem Wissen, dass sie möglicherweise noch nicht perfekt sind und dann schnell nachgebessert. Diese positive Fehlertoleranz und eine schnelle, unkomplizierte Nachbesserung könnte jetzt die DiGA retten und ihr eine Zukunftsperspektive geben.

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