Pflegekräftemangel: „Wir haben in Serbien, Albanien, Kroatien und Italien gesucht“

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Roland Ott, ©Klinikverbund Südwest

Viele Personalleiter in Kliniken stehen vor dem gleichen Problem: Es gibt zu wenige Fachkräfte im Haus. Im Klinikverbund Südwest ist die Reise ins Ausland längst zu einem selbstverständlichen Baustein der Recruiting-Strategie geworden. Wieso sich daran wohl auch bis ins Jahr 2030 nichts ändern wird, erklärt der Personalchef des Verbunds, Roland Ott, im Interview.

Health Relations: Herr Ott, Sie sind Personalchef des Klinikverbunds Südwest, zu dem sechs Krankenhäuser in Baden-Württemberg gehören. Wie viele Stellen in den Häusern sind gerade unbesetzt?

Roland Ott: Stichtag heute sind es 20 Stellen für alle sechs Kliniken, wobei die Pflege- und Ärztestellen etwa hälftig unbesetzt sind.

Health Relations: Sie reisen jedes Jahr ins EU-Ausland, um neue Pflegekräfte zu gewinnen. In welchen Ländern waren Sie in diesem Jahr?

Ott: Wir waren in diesem Jahr in Serbien, in Albanien, in Kroatien und in Italien.

Health Relations: Warum konzentrieren Sie sich auf EU-Länder und nicht auf Länder, die sich außerhalb der EU befinden, wie etwa die Philippinen, in denen Personaler der Asklepios Kliniken unterwegs sind?

Wir versprechen uns vom europäischen Ausland, dass die Leute besser zu integrieren sind als Mitarbeiter aus dem asiatischen Raum.

Ott: Wir versprechen uns vom europäischen Ausland, dass die Leute besser zu integrieren sind als Mitarbeiter aus dem asiatischen Raum. Wir sind daran interessiert, die Mitarbeiter dauerhaft an uns zu binden. Der gesellschaftliche Unterschied zwischen Europa und Asien ist eben schon noch einmal ein anderer, als zwischen zwei europäischen Ländern. Solange es im EU-Ausland noch ausreichend Mitarbeiter gibt, die wir anwerben können, bleiben wir deshalb in Europa.

Health Relations: Ihre Reise, die Sprachausbildung der Pfleger, die Betreuung in Deutschland – dies alles kostet Geld. Wie teuer sind die Ausgaben im Durchschnitt pro Pflegekraft?

Ott: Das hängt immer ein bisschen vom Partner und vom System ab: Ob die Sprache in Deutschland erworben wird oder im Ausland, spielt beispielsweise in die Kosten mit hinein. Aber als Anhaltswert kann man von circa 10.000 Euro Ausgaben pro Mitarbeiter ausgehen.

Health Relations: Wie sichert der Klinikverbund die Investitionen ab? Gibt es z.B. vertragliche Bestimmungen, die von den Pflegekräften eingehalten werden müssen?

Ott: Es gibt eine Vereinbarung, dass die Mitarbeiter drei Jahre im Klinikum arbeiten müssen. Kündigen sie früher, müssen sie einen Teil der Kosten, wie etwa von uns geleistete Ausgaben für Sprachkurse oder Unterbringungskosten, selbst tragen.

„Jeder isch voller Begeisterung dabei“: In einem Imagevideo erzählen Angestellte des Klinkverbunds von ihrem Berufsalltag. 

Health Relations: In den Philippinen unterstützt ein Programm der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der Bundesagentur für Arbeit vor Ort den Auswahlprozess. Gibt es auch Förderprogramme für die Rekrutierung von Pflegekräften aus Europa?

Ott: Es gibt EU-Unterstützungsprogramme zum Erwerb der Sprache, diese nutzen wir auch. Aber für die Anwerbung im europäischen Ausland gibt es keine Anwerbeprogramme mehr. Das gab es früher einmal von der Bundesagentur für Arbeit, diese Fördermaßnahmen wurden aber eingestellt.

Health Relations: Was tut der Klinikverbund Südwest neben der Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland noch, um Mitarbeiter zu gewinnen?

Ott: Unser wichtigster Rekrutierungskanal ist die Ausbildung. Deshalb betreiben wir viel Ausbildungsmarketing und versuchen ein attraktives Programm anzubieten. Hier holen wir etwa die Hälfte des Personalbedarfs pro Jahr, das sind rund 70 Pflegeschüler und –schülerinnen. Außerdem investieren wir in Pflege-Imagekampagnen, schreiben Stellen aus, sind auf Messen präsent und stellen unsere Ausbildungsprogramme in Schulen vor.

MIP qualifiziert geflüchtete Ärzte für den deutschen Arbeitsmarkt
Wem die Reise ins Ausland zu aufwendig ist, könnte hier nachfragen: Das Beratungsunternehmen Medici in Posterum (MIP) unterstützt die Integration von geflüchteten Ärzten, Apothekern und Zahnärzten in den deutschen Arbeitsmarkt.

Health Relations: Wie erfahren potenzielle Interessenten von der Möglichkeit einer Ausbildung in einem Ihrer Häuser?

Ott: Am besten funktioniert das über den persönlichen Kontakt. Wir gehen in Schulen, wir gehen auf Messen, wir sind also überall dort, wo Ausbildung angeboten wird oder man sich über Arbeitgeber umfassend informieren kann.

Health Relations: Sie sind in verschiedenen Städten auch auf dem Operation Karriere Kongress mit einem Stand vertreten, der vom Deutschen Ärzteverlag ausgerichtet wird. Hier werden Arbeitgeber und junge Ärzte bzw. Medizinstudenten zusammengebracht. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Ott: Unsere Erfahrungen auf dem Operation Karriere Kongress sind schwer messbar. Aus der direkten Ansprache ergeben sich immer wieder Anstellungsverhältnisse. Oft aber gar nicht direkt, sondern erst im Laufe der Zeit. Für uns ist der Kontakt mit potenziellen Mitarbeitern dennoch wichtig, weil es zu einem späteren Zeitpunkt bei dem Interessenten vielleicht dazu führt, dass er denkt: Den Klinikverbund Südwest, den habe ich doch schon mal auf diesem oder jenem Kongress gesehen.

Health Relations: Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Die Situation auf dem Healthcare-Arbeitsmarkt ist heute angespannter als noch vor einigen Jahren. Wie schätzen Sie die zukünftige Situation ein? Was müsste getan werden, damit sich die Situation am Arbeitsmarkt im Jahr 2030 positiver darstellt?

Wir müssen die Bedingungen so attraktiv gestalten, dass die Leute im Beruf bleiben können.

Ott: Wir müssen es schaffen, dass der Pflegeberuf attraktiver wird. Junge Leute müssen in den Beruf gehen wollen. Das bedeutet auch, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Mitarbeitern ermöglichen, den Beruf über Jahrzehnte auszuüben. Es nutzt nicht wirklich etwas, wenn eine ausgebildete Pflegekraft nach fünf Jahren aufhört, weil sie es körperlich und psychisch nicht mehr schafft. Wir müssen die Bedingungen so attraktiv gestalten, dass die Leute im Beruf bleiben können. Trotzdem, denke ich, werden wir es in unserer Gesellschaft nicht schaffen, den kompletten Bedarf in Deutschland zu decken. Es gibt zu viele berufliche Optionen für junge Leute. Da wird ein Beruf, in dem man für wenig Geld sieben Tage in der Woche arbeiten muss, ungern ausgewählt. Das ist ein Problem, das wir nicht lösen werden. Deshalb wird der Klinikverbund voraussichtlich auch im Jahr 2030 Mitarbeiter im Ausland rekrutieren.

Health Relations: Herr Ott, vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person: Roland Ott ist seit 2006 Personalleiter im Klinikverbund Südwest mit den Standorten in Sindelfingen, Böblingen, Leonberg, Herrenberg, Nagelt und Calw. Einmal im Jahr reist er auf der Suche nach neuem Personal ins europäische Ausland. 

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