Kolumne: Warum Rehtee Begum noch eine Ausnahme ist

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Kolumne
© Alex/ Adobe Stock
Da staunten die Impfhelfer nicht schlecht, als sie im Juni 2021 im kleinen Örtchen Wagoora in Indien auf Rehtee Begum trafen. Nach dem Alter gefragt, gab sie an, 124 Jahre alt zu sein. Eine Ausnahme, denn Health Literacy spielt für die meisten Menschen keine große Rolle. Dabei kann die Digitalisierung Abhilfe schaffen.

Ist es eine Laune der Natur, ein Alter von 120 Jahren zu erreichen? Mitnichten, denn eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie zeigt, dass unsere physiologische Lebenserwartung tatsächlich bei 120 – 150 Jahren liegt. Zwischen unserer durchschnittlichen Lebenserwartung von 70 Jahren weltweit bzw. 79 Jahren in Deutschland und diesen 120 Jahren klafft also noch eine erhebliche Lücke und die schlechte Nachricht ist: Wir sind zu einem großen Teil selber daran schuld. Denn 50 % aller chronischen Erkrankungen, die unser Leben erheblich verkürzen, sind auf unser Verhalten zurückzuführen.

CONNECTED – die digital-kolumne
Jeden Monat thematisiert Dr. Gerd Wirtz hier die Digitalisierung der Medizin. In seiner Kolumne stellt er die Facetten des digitalisierten Healthcare-Kosmos vor. Die kleinen Geschichten, die skurrilen Begegnungen und die großen Fragen. Digital gedacht, menschlich betrachtet. Immer auf den Punkt und augenzwinkernd kommentiert.

Tabakkonsum, Alkoholkonsum, falsche Ernährung und Bewegungsmangel sind die größten Bösewichte.   Bei einem Arztbesuch wird das Risiko entdeckt und wir erhalten vom Arzt gutgemeinte Ratschläge. Die ersten Tage nach dem Arztbesuch ist man ganz motiviert und versucht, ein paar gesund haltende Verhaltensweisen in den Alltag zu integrieren. Doch je länger der Arztbesuch zurückliegt, desto mehr sinkt die Motivation. Wir fühlen uns doch auch ohne diese Maßnahmen gesund – bis das Schicksal seinen Lauf nimmt.

Das digitale Gewissen erinnert an die guten Vorsätze

Was hat das eigentlich mit Digitalisierung zu tun? Das habe ich gemerkt, als ich durch Corona daran gehindert wurde, meine Lieblingssportarten zu betreiben. Um mich dennoch zu bewegen und überflüssige Pfunde zu vermeiden, habe ich mich mit Fitness Apps beschäftigt und eine gefunden, die genau meine „kleinen Schalter“ im Hirn umlegte und den inneren Schweinehund ins Körbchen schickte. Eine gute Beschreibung von Übungen, ein virtueller Coach und Wettbewerbscharakter. Ich konnte Punkte sammeln, in neue Levels aufsteigen und gegen meine eigenen Bestleistungen kämpfen. Bis heute kann ich gar nicht genug davon bekommen. Nahezu jeder findet ein Programm, das seinen Zielen und eigenen Motivationsfaktoren entspricht. Wer bei seinen Programmen schuldert, wird immer wieder erinnert. Tag für Tag und nicht nur alle paar Monate bei einem Arztbesuch.

Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen

Die patientenzentrierte Medizin der Zukunft ist schon bei uns angekommen und in vielen Bereichen verfügbar. Die digitale Medizin hilft uns, Verantwortung für unsere Gesundheit zu übernehmen, um länger gesund zu leben. Der Patient der Zukunft ist bereit, Verantwortung für sich und seine Gesundheit zu übernehmen. Die Aufgabe des Arztes der Zukunft ist es, die Patienten dahingehend zu ermutigen und sich vom Herrscher des Wissens zum Coach und Partner auf Augenhöhe zu entwickeln. So kommen wir von einer Medizin, die nur bei jedem Arztbesuch stattfindet, zu einer Medizin, die den Patienten bei seiner Krankheit kontinuierlich begleitet und ihm hilft, schnell und eigenverantwortlich seine Gesundheit zurückzuerlangen.

Das Thema Health Literacy steht ganz oben auf der politischen Agenda der Bundesregierung und das ist auch bitter nötig, denn die im Januar 2021 veröffentlichten Ergebnisse der 2. Health Literacy Survey zeigen, dass mehr als die Hälfte der deutschen Bürger eine sehr geringe Gesundheitskomptenz hat. Solange sich diese nicht signifikant erhöht, werden Menschen wie Rehtee Begum eine seltene Ausnahme bleiben.

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