Health Relations: Ihr Vortrag auf der diesjährigen #WeActCon trug den Titel „From global to local – Was dürfen wir hoffen, was können wir tun?“ Müsste es nicht tatsächlich eher heißen: Was müssen wir denn tun, damit wir hoffen dürfen?
Dr. Bertram Häussler: Es ist eher meine Art, vom Können anstatt vom Müssen zu sprechen. Wenn wir glauben, dass wir etwas tun müssen, können wir das nicht einfach umsetzen. Sondern wir müssen sozusagen die Aufgabe in ein machbares Verhältnis bringen. Deswegen würden wir uns, meiner Meinung nach, in eine unendliche Stresssituation bringen, wenn wir immer nur davon reden würden, was wir tun müssen, weil wir das sowieso nicht alles tun können. Das ist eine Abwägung. Ich kann optimistisch sein, berufsoptimistisch, ich kann aber auch realistisch sein.
„Auch wenn wir glauben, zu wissen, was wir tun müssen, müssen wir beim konkreten Handeln jede Menge Zwischenfragen stellen und unter Umständen andere Strategien einschlagen. „
Health Relations: Abwägungen brauchen eine Basis. Und die ist noch nicht vorhanden.
Dr. Bertram Häussler: Richtig. Ich kann erstmal nicht sicher sein, ob die Variante A oder die Variante B auf die Umwelt bezogen die bessere ist. Das muss ich erstmal ermitteln. Das Beispiel mit der Digitalisierung der Packungsbeilagen zeigt das sehr gut. Auf der Konferenz fragte ein Teilnehmer, warum man das überhaupt untersuche. Ein digitaler Beipackzettel sei immer ressourcenschonender. Das aber ist so nicht immer richtig. Ich hatte das Beispiel mit der Tageszeitung gebracht. Die Papiervariante ist, wenn sich mehrere Menschen ein Exemplar teilen, effizienter als die digitale Variante. Auch wenn wir glauben, zu wissen, was wir tun müssen, müssen wir beim konkreten Handeln jede Menge Zwischenfragen stellen und unter Umständen andere Strategien einschlagen. Ich kann mich zum Beispiel auch dafür entscheiden, eine wenig effiziente Option beizubehalten, weil ihre Transformation zu einer ressourcenschonenderen Lösung einen solchen Aufwand bedeuten würde, dass ich dafür ganz viele andere Ansätze nicht machen kann.
Health Relations: Die Daten für Ihr Beispiel des digitalen Beipackzettels stammen von pharmazeutischen Unternehmen. Das IGES Institut stellt für Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Leistungserbringer umfassendes Wissen bereit. Braucht es mehr Datenspenden und Zusammenarbeiten wie diese?
Dr. Bertram Häussler: Wir sind eine Art Getriebe, was das eine in das andere umwandelt. Die pharmazeutische Industrie hat sich des Themas Nachhaltigkeit angenommen und investiert, indem sie unter anderem, wie etwa Chiesi, diese Veranstaltung sponsert. Die Rolle der Industriepartner kann aber eben auch die des Informationslieferanten sein. Bei der gedruckten Packungsbeilage hat nur die Pharmaindustrie die Daten, die wir brauchen, um eine Abwägung zu ermöglichen. Im Grunde geht es immer um das Zusammentragen von Know-how.
Health Relations: Das heißt, es geht um Kollaboration, denn wenn wir unsere verschiedenen Wissenselemente nicht zusammentragen und in einen großen Topf packen, werden wir daraus nicht den einen Eintopf kriegen, den wir brauchen, um etwas zu bewegen in Sachen Nachhaltigkeit.
Dr. Bertram Häussler: Und es gibt bei vielen Themen noch keine Daten für fundierte Entscheidungen, weil man bestimmte Fragen bisher auch nicht gestellt hat. Bleiben wir bei der Packungsbeilage. Wo kauft ihr das Papier ein? Wie lange ist das Papier unterwegs von der Papierfabrik bis zur Druckerei, wie groß ist die Distanz zwischen den beiden? Das waren Fragen, die hatten bisher nie jemanden interessiert. Es gibt eine solche Vielfalt von Praxisphänomenen, dass man immer die Praktiker fragen muss, wie sich ihre Prozesse zusammensetzen.
„Ich denke mal, die beste Strategie ist es, mit Dingen anzufangen, die viel bringen und wenig kosten.“
Health Relations: Wie bereit sind diese Praktiker, sich diesen Fragen zu stellen, die vielleicht manchmal nicht nur ungewohnt sind, sondern auch unbequem sein können? Und eventuell in gesetzliche Restriktionen und Vorgaben enden könnten?
Dr. Bertram Häussler: Ich erlebe die Branche als sehr aufgeschlossen. Im Unterschied zur Automobilindustrie kann die Pharmabranche auch etwas gelassener sein, weil das Thema „Umwelt“ nicht ganz so existenziell ist wie für die Automobilindustrie. Pharmaunternehmen können sich ihre Projekte eher aus freien Stücken aussuchen. Dennoch müssen sie sich fragen lassen, wie ernsthaft die Bemühungen im Klimaschutz sind. Also macht einer nur Greenwashing oder macht er etwas Substanzielles.
„Pharma muss sich fragen lassen, wie ernsthaft die Bemühungen im Klimaschutz sind. Also macht einer nur Greenwashing oder macht er etwas Substanzielles?“
Health Relations: Glauben Sie, es ist genug „Druck auf dem Kessel“, wenn es um Nachhaltigkeit geht?
Dr. Bertram Häussler: Erstmal müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass der CO2-Fußabdruck jedes Jahr noch größer wird, weil es jede Menge anderer Emittenten gibt, auch andere Länder, die das für sich momentan nicht als Prio 1 entdeckt haben. Ich denke, wir müssen uns als Reaktion darauf auch mit der Anpassung an den Klimawandel beschäftigen.
Health Relations: Wir müssen uns mit der Anpassung beschäftigen, aber auch damit, die Schrauben zu drehen, die wir noch drehen können, damit wir uns nicht so unbequem anpassen müssen.
Dr. Bertram Häussler: Absolut. Ich denke mal, die beste Strategie ist es, mit Dingen anzufangen, die viel bringen und wenig kosten. Da haben wir auch am wenigsten Widerstände. Und wir sollten nicht lockerlassen, sollten also immer weitersuchen nach Dingen oder Prozessen, an die wir bisher noch gar nicht gedacht haben, sie zu verändern.
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