Was bedeutet das Gesundheitsdatennutzungsgesetz für Pharma?

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Tom Mühlmann, BPI Chief Digital Officer und Geschäftsfeldleiter Digitale Transformation beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V.©BPI/Kruppa
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) erleichtert die Forschung für die Pharmaindustrie. Ende Dezember 2023 hatte der Bundestag das GDNG beschlossen. Das Gesetz soll die Forschung generell erleichtern und einen sicheren Rechtsrahmen schaffen. Auch für die Pharmaindustrie ergeben sich damit viele Vorteile.
In diesem Artikel lesen Sie:

Tom Mühlmann, Chief Digital Officer und Geschäftsfeldleiter Digitale Transformation beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. erklärt, was es mit dem Gesetz auf sich hat und warum Ärzt:innen auch davon betroffen sind spielen.

Health Relations: Wie bewerten Sie generell die Auswirkungen des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG) auf die pharmazeutische Industrie?

Tom Mühlmann: Das GDNG schafft die Möglichkeit, das Potenzial von Gesundheitsdaten für die Behandlung von Patient:innen besser auszuschöpfen. Wenn pharmazeutische Unternehmen Gesundheitsdaten nutzen können, trägt das dazu bei, Erkrankungen besser zu verstehen, neue Therapien zu entwickeln, Krankheiten vorzubeugen und Versorgungsstrukturen weiterzuentwickeln. Damit markiert das GDNG einen bedeutenden Schritt in der Nutzung von Gesundheitsdaten für den Fortschritt in der Medizin. Grundsätzlich begrüßen wir als BPI die politischen Bestrebungen, den Zugang zu relevanten Gesundheitsdaten zu erleichtern, um Forschung und Entwicklung in der pharmazeutischen Industrie zu fördern. Es ist ein wichtiger Schritt von vielen, um den Forschungsstandort Deutschland zu stärken.

Health Relations: Die Nutzung der Daten ist zentral für die Forschung. Inwiefern erleichtert das GDNG den Zugang der Pharmaunternehmen zu den Gesundheitsdaten, und welche Chancen ergeben sich daraus?

Tom Mühlmann: Das GDNG schafft bessere Rahmenbedingungen für den Zugang zu Gesundheitsdaten für Forschende. Es führt unterschiedliche Datenquellen zu einer dezentralen Gesundheitsdateninfrastruktur zusammen und schafft mit der zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle eine neue Institution. Diese kann auf Antrag Daten aus unterschiedlichen Quellen, wie dem Forschungsdatenzentrum und den Krebsregistern, kombinieren und zur Verfügung stellen. Das ist ein enormer Fortschritt verglichen mit der aktuellen Situation, in der dies kaum oder nur über aufwendige Umwege möglich ist. Zusätzlich kann die neu eingeführte federführende Datenschutzbehörde dabei helfen, bürokratische Hürden abzubauen.

Was ist das Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG)?
Mit dem GDNG sollen Gesundheitsdaten für die Forschung erschlossen werden. Kern des Gesetzes ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke. Dazu wird unter anderem eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur mit einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten aufgebaut.

Health Relations: Wie genau passiert das?

Tom Mühlmann: Indem relevante Daten schneller zugänglich sind, wird sowohl eine effizientere Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel als auch die Weiterentwicklung und Verbesserung vorhandener Produkte ermöglicht. Die Chancen liegen in beschleunigten Forschungsprozessen und der Identifikation neuer Therapieansätze.

Health Relations: Könnten Sie konkrete Beispiele für Forschungsbereiche nennen, in denen die Pharmaindustrie durch das GDNG unterstützt wird?

Tom Mühlmann: Medizinische Forschung fußt immer auf verfügbaren Gesundheitsdaten. Durch den erleichterten Zugang profitieren alle Arten von Forschung – von epidemiologischen Studien über Klinische Forschung und Versorgungsforschung bis hin zur Forschung für Nutzen- und Zusatznutzenbewertung. Bessere Datenverfügbarkeit ermöglicht präzisere Forschungsergebnisse und fortschrittlichere Therapieansätze.

Health Relations: Gibt es weitere Vorteile?

Tom Mühlmann: Von Vorteil für die medizinische Forschung wird auch sein, dass zukünftig Gesundheitsdaten eines Individuums aus verschiedenen Quellen über ein Forschungsdatenpseudonym verknüpft werden können. Das eröffnet weitergehende Möglichkeiten für die Forschung durch die Verfügbarkeit von longitudinalen Daten.

„Gut gepflegte ePA-Daten sind damit ein wichtiger Baustein, um das volle Potential der Gesundheitsdatennutzung zu heben.“

Health Relations: Beeinflusst das GDNG auch die Zusammenarbeit zwischen der Pharmaindustrie und Ärzt:innen?

Tom Mühlmann: Eine der Neuerung im GDNG betrifft das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ). Hier werden zusätzlich zu den Abrechnungsdaten der Krankenkassen auch Gesundheitsdaten aus den elektronischen Patientenakten (ePA) in pseudonymisierter Form mit einfließen – solange Patient:innen dem nicht individuell widersprechen. Die Ärzteschaft übernimmt daher einen wichtigen Part, da in den Praxen die Gesundheitsdaten zum Wohle der Patient:innen in der ePA dokumentiert werden. Gut gepflegte ePA-Daten sind damit ein wichtiger Baustein, um das volle Potenzial der Gesundheitsdatennutzung zu heben. Wichtig ist allerdings zu betonen, dass das GDNG keine direkte Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft und pharmazeutische Unternehmen fördert. Die Entscheidung, ob Daten für Forschungszwecke genutzt werden dürfen, bleibt in der Hand der Patient:innen. Für die pharmazeutische Forschung stehen Gesundheitsdaten nur über das FDZ und nur nach Prüfung und Freigabe des Antrags durch die zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle zur Verfügung.

Health Relations: Bleiben wir kurz bei den Patient:innen. Inwiefern hat das Gesetz Auswirkungen auf die patientenzentrierte Forschung und Entwicklung neuer Medikamente?

Tom Mühlmann: Durch die im GDNG vorgesehenen Konzepte stehen den forschenden Organisationen perspektivisch mehr Daten zur Verfügung. So können Wissenschaftler in Ergänzung zu klinischen Studien auch auf Real World Data zurückgreifen. Das wiederum ermöglicht eine bessere Versorgung der Patient:innen auf gesamtgesellschaftlicher sowie auf individueller Ebene. So können zukünftig z. B. in der Krebsforschung und -therapie nicht nur Daten aus dem unmittelbaren Behandlungskontext genutzt, sondern diese auch mit weiteren Gesundheitsdaten aus anderen Quellen verknüpft werden. Das schafft zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Gerade bei innovativen Therapien, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, ist dies eine große Verbesserung.

„Die pharmazeutische Industrie wird Gesundheitsdaten aus dem FDZ oder anderen im GDNG beschriebenen Quellen nicht für Marketingzwecke nutzen.“

Health Relations: Plant die Pharmaindustrie, die verbesserte Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten auch für Marketingzwecke zu nutzen?

Tom Mühlmann: Die pharmazeutische Industrie wird Gesundheitsdaten aus dem FDZ oder anderen im GDNG beschriebenen Quellen nicht für Marketingzwecke nutzen. Das GDNG definiert exakt vorgegebene Zwecke. §303e, Abs. 2 des SGB V nennt die Zwecke, für die Gesundheitsdaten beim FDZ beantragt werden können. Ausgeschlossen wird dann in Absatz 3a explizit die „Nutzung der Daten für Marktforschung, Werbung und Vertriebstätigkeiten für Arzneimittel, Medizinprodukte und sonstigen Produkten“.

Health Relations: Welche Schritte unternimmt der BPI, um sicherzustellen, dass die Pharmaindustrie transparent und verantwortungsbewusst mit Gesundheitsdaten umgeht?

Tom Mühlmann: Die pharmazeutische Industrie hat jahrzehntelange Erfahrung mit der Verarbeitung von besonders sensiblen personenbezogenen Daten aus klinischen sowie nicht-interventionellen Studien. Bei der Verarbeitung von Gesundheitsdaten gelten und kommen umfangreiche Sicherheitsprotokolle zum Einsatz, um die Daten vor unbefugtem Zugriff und einer nicht-bestimmungsgemäßen Nutzung zu schützen. Der BPI informiert und schult seine Mitgliedsunternehmen kontinuierlich zu den aktuellen Entwicklungen. Datenschutzveranstaltungen sind regelmäßig Bestandteil unseres Leistungskatalogs für unsere Mitglieder. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Daten, die für Forschungszwecke genutzt werden können, zum einen nur in pseudonymisierter Form ohne Rückschluss auf das Individuum vorliegen. Und die angeforderten Daten werden den Forschenden in einer sicheren Verarbeitungsumgebung zur Verfügung gestellt.

Health Relations: Wie sieht der BPI die Herausforderungen im Datenschutz und in der Datensicherheit im Zusammenhang mit dem GDNG und welchen Beitrag leistet die Pharmaindustrie, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

Tom Mühlmann: Ein starker und verlässlicher Datenschutz ist wichtig und richtig für jeden Umgang mit Gesundheitsdaten. Durch die dezentrale Dateninfrastruktur sind die Daten von den jeweiligen Betreibern nach den geltenden Datenschutz- und Datensicherheitsrichtlinien geschützt. Natürlich hält auch die pharmazeutische Industrie diese Vorgaben ein. Als BPI haben wir ein großes Interesse an einem sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Gesundheitsdaten – nur das kann Vertrauen schaffen, und Vertrauen ist wiederum die Grundlage für die weitere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten. Daher legen wir großen Wert auf einen optimalen Datenschutz und beteiligen uns an den Diskussionen, diesen weiterzuentwickeln.

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