Cara Care: Von der Nischen-App zur Klassenbesten

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Jesaja Brinkmann und André Sommer, Gründer von Cara Care, über Erlösmodelle im eHealth-Bereich
Die Cara-Care-Gründer Jesaja Brinkmann (li.) und André Sommer. © HiDoc Technologies GmbH

„Mich hat das Thema eHealth sehr fasziniert. Also wollte ich nach dem Medizinstudium unbedingt ein eigenes Produkt launchen.“ André Sommer ist einer der beiden Gründer von HiDoc Technologies GmbH, dem Unternehmen hinter Cara Care, einer App für Lösungen bei Darmkrankheiten. Ein Nischen-Thema – und eine Idee mit Impact.

Darmgesundheit ist kein hippes Thema. Obwohl Giulia Enders mit ihrem Buch „Darm mit Charme“ hier schon kräftig vorgelegt hat und den Darmkrankheiten an das Licht der Öffentlichkeit verholfen hat. Dennoch, seien wir ehrlich, über seine Verdauung spricht kaum jemand gerne. Dabei sind in alleine Deutschland geschätzte 10 bis 15 Millionen Menschen vom Reizdarmsyndrom betroffen. Hinzu kommen weitere chronische Darmkrankheiten, die sich unter dem Radar bewegen. Auch, weil sie tabuisiert werden. André Sommer und sein Team wollen das mit Cara Care ändern. Mit Strategie, Know-how und Gründergeist.

André Sommer von Cara Care
André Sommer ist einer der beiden Gründer von Cara Care. Dafür ist er extra von Bonn nach Berlin gezogen. Foto: HiDoc Technologies GmbH

Die App richtet sich an Patienten – und an Ärzte. Sie will beiden Parteien Hilfestellung leisten, dem Darmleiden auf die Spur zu kommen und eine individuelle Therapie zu finden. Neben dem Reizdarm-Syndrom stehen bei Cara Care auch Intoleranzen und chronisch entzündliche Krankheiten im Fokus wie beispielsweise Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa. Dass es in diesem Bereich einen Need von Arzt- und Patientenseite gibt, hat André Sommer im privaten Umfeld mit erleben dürfen. „Ich habe selber als junger Arzt in meinem Bekanntenkreis erfahren, dass Betroffene nur Arzt-Hopping betrieben haben. Der Patient wird oftmals nicht an die Hand genommen, es findet keine End-to-End-Versorgung im Sinne einer ganzheitlichen Beratung von der Analyse der Symptome bis hin zu einer Ernährungsberatung statt“, sagt der 31-Jährige. Und das sei nachvollziehbar. „Ärzte stehen bei diesem medizinischen Thema oft mit dem Rücken zur Wand. Sie wissen oftmals nicht, wie sie damit umgehen sollen, da insbesondere bei Krankheiten wie Reizdarm die konkreten Ursachen und Auslöser nicht vollständig geklärt sind. Es existieren keine zielgerichteten Therapien oder Tabletten, die sie verschreiben können, außer natürlich einem breiten Repertoire an OTC-Medikamenten.“

Mit relevanten Keywords wie Pantoprazol, Magenspiegelung oder Flohsamenschalen rankt Reizdarm.one auf Platz 1.

Das Thema Digital Health hat Sommer begeistert, die Idee, Gründer statt praktizierender Arzt zu werden, auch. Warum also nicht ein Produkt launchen, das sich sich um Darmkrankheiten dreht? Zusammen mit Jesaja Brinkmann, ebenfalls angehender Arzt, gründete er 2016 in Berlin, Deutschlands Start-up-Stadt Nummer eins, das Unternehmen HiDoc Technologies. Im ersten Schritt riefen sie einen medizinischen Blog ins Leben: Reizdarm.one. Das war clever.

Erst der Blog, dann die App: Zwei ineinander greifende Bausteine

Jesaja Brinkmann von Cara Care
Hat sein Medizin-Studium für die Gründung kurz ruhen lassen: Jesaja Brinkmann. Foto: HiDoc Technologies GmbH

Das Ziel der beiden Gründer war es von Anfang an, mit dem medizinischen Blog Reichweite zu generieren – und im zweiten Schritt ein weiteres Produkt, die App Cara Care, darauf zu setzen. Mit der Fokussierung des Blogs auf das Reizdarmsyndrom, einer gründlichen SEO-Recherche und hochwertigem Content stieg Reizdarm.one nach eigenen Angaben schnell zur größten Darmerkrankungsseite Deutschlands auf. Sommer und Brinkmann haben ihre Hausaufgaben gemacht: Mit relevanten Keywords wie Pantoprazol (OTC-Medikament zum Magenschutz), Magenspiegelung oder Flohsamenschalen rankt Reizdarm.one auf Platz 1.

Laut Analyse-Tool Similar Web hat das Portal im Januar diesen Jahres 1,3 Millionen Visits verzeichnet. Rund 90 Prozent des Traffics entspringen laut Tool der organischen Suche. Der Rest kommt zielgerichtet auf die Seite. Die SEO-Strategie geht also auf. Hinzu kommt der fundiert-medizinische Content mit hohem Mehrwert, der User bindet.

Der Patient treibt die Digitaliserung voran. Das spürt auch Cara Care

Cara Care ist die Weiterentwicklung des Blogs und folgte im zweiten Schritt. Neben der Erläuterung von Symptomen und aktiver Hilfestellung in Form von Beratung und Begleitung durch zertifizierte Ernährungsberater bietet die App dem Arzt eine Dashboardfunktion an. Mit dieser erhält er Einblicke in den Krankheitsverlauf seines Patienten – ohne Berge von Papier durchforsten zu müssen. Ein echter Benefit, der sich trotzdem nicht allen Kollegen erschließt. „Digitalkompetenz wird Ärzten im Studium kaum vermittelt. Und im ärztlichen Betrieb bleibt kaum Zeit für eine Beschäftigung mit eHealth-Anwendungen. Hier brauchen wir viel mehr Fortbildungen, um die Verwertungskette von Digital Health vollends ausschöpfen zu können“, sagt Sommer.

Derzeit ist es also vor allem der Patient, der den Arzt auf eHealth-Anwendungen stößt und für Innovationsdruck sorgt. So auch bei Cara Care: Bis 2018 registrierte die App 360 000 freie App-Downloads weltweit. 1800 Betroffene entschieden sich seit Beginn im letzten Jahr in Deutschland für eine von Kassen erstattete, kostenpflichtige Therapie mit der App. Die Kosten für diese werden von den Krankenkassen zu einem großen Teil übernommen. Allerdings braucht es hierfür eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung, die der Patient bei seinem Arzt erhält. Heißt: Mindestens 1.800 Mediziner sind 2018 über Betroffene mit Cara Care in Kontakt gekommen. „Uns erreichen vermehrt Anrufe von Kollegen, die sich die App erklären lassen wollen. Sie merken dann schnell: Wir sind keine Gefahr für den Arzt, sondern geben ihm ein Tool zur Unterstützung an die Hand.“

Die Erlösmodelle: Kassenzuzahlung, Selbstzahler – und Kooperationsmodelle mit Pharma

Screenshot der App Cara Care
Screenshot: Cara Care

Brinkmann und Sommer sind Mediziner. Und Unternehmer. Und als solche haben sie neben dem medizinischen Mehrwert auch die Erlösquellen fest im Blick. Neben der Bezuschussung durch Krankenkassen oder Umsätze durch Selbstzahler, die die App mit ihrem eigenen Ernährungsberater verbinden möchten, gibt es auch die Idee, dass Hersteller hochpreisiger Präparate dem Patienten dieses Tool als Bonus zur Verfügung stellen. „Wir sind offen für Kooperationen, bleiben aber unabhängig. Und arbeiten natürlich datenschutzkonform. Außerdem stehen wir kurz vor der Zertifizierung als Medizinprodukt.“

Langfristig wollen Sommer und Brinkmann Cara Care zum Marktführer machen. Gerne international. „Wir als Start-up können schnell auf Veränderungen reagieren. Wir lernen viel schneller vom Patienten und von den Stakeholdern im Gesundheitswesen. Und wir arbeiten deutlich agiler als wenn wir diese Idee beispielsweise in einem Krankenhaus machen würden.“

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