Saskia Steinacker, Bayer: „Was löst Probleme, was braucht der Patient?“

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Saskia Steinacker auf dem Mesh 2019
©Florian Schwalbach / Bayer
Saskia Steinacker leitet den Bereich „Digital Transformation“ bei Bayer, der die digitale Transformation des Konzerns in enger Zusammenarbeit mit dem Vorstand steuert und vorantreibt.  Auf dem MESH 2019 hatten wir Gelegenheit, sie zu ihrer digitalen Agenda zu befragen.

Rund 140 Teilnehmer diskutierten am 14. Juni beim MESH in Berlin über die digitale Zukunft von Healthcare. Saskia Steinacker, Head of Digital Transformation bei Bayer, war eine der Keynote-Speakerinnen an diesem Tag. Wir haben sie  gefragt, wie aus Theorie Praxis wird und wo der Konzern in Sachen digitaler Wandel steht.

Health Relations: Change Prozesse in großen Konzernen wie Bayer sind mit Sicherheit alles andere als einfach. Größe macht träge. Wie bereitet sich das Unternehmen auf die Herausforderungen des digitalen Wandels vor, wie setzt es sie um?

Saskia Steinacker: Das stimmt, wir sind nicht erst seit gestern da. Bayer ist ein weltweit führendes Life-Science-Unternehmen mit einer über 150-jährigen Historie. Allerdings ist das auch ein Vorteil, wir haben viel Erfahrung. Dennoch stellt uns der digitale Wandel vor Herausforderungen, zu denen wir Lösungen finden müssen. Es ist eine Art Reise, die wir gestalten und mit Inhalt füllen müssen, um alle Mitarbeiter mitzunehmen. Das heißt, dass wir den Begriff „digitale Transformation“ zuerst definieren mussten, damit er nicht zum Buzzword verkommt, das kein Mitarbeiter versteht.
Wir definieren Visionen – und geben Beispiele für konkrete Anwendungen. Unsere Mission lautet: Science For A Better Life. Unsere Schwerpunkte sind Gesundheit und Ernährung. Unser Ziel: Die Menschheit, die stetig wächst und im Jahr 2050 neun bis zehn Milliarden Menschen umfassen wird, gesund zu ernähren und gesundheitlich zu versorgen. Mit digitalen Lösungen können wird dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Wie gehen wir da vor? Wir digitalisieren Kundenerlebnisse, stellen die Wertschöpfungskette um, schaffen neue Geschäftsmodelle. Und genau das kommunizieren wir auch unseren Mitarbeitern.

Expertin für Digital Health: Seit Februar 2017 leitet Saskia Steinacker den Bereich Digital Transformation bei Bayer. 2018 wurde Saskia Steinacker außerdem für die Expertengruppen der Europäischen Kommission zum Thema Künstliche Intelligenz nominiert.
Expertin für Digital Health: Seit Februar 2017 leitet Saskia Steinacker den Bereich Digital Transformation bei Bayer. 2018 wurde Saskia Steinacker außerdem für die Expertengruppen der Europäischen Kommission zum Thema Künstliche Intelligenz nominiert. © Bayer

Health Relations: Wie machen Sie das?

Saskia Steinacker: Indem wir nicht nur Begriffe vor uns herschieben, sondern kommunizieren, wie etwas geht. Wir nennen konkrete Beispiele, zeigen, was wir dazu beitragen können, das Leben des Patienten, Farmer oder Konsumenten positiv zu beeinflussen. Das begeistert die Leute und stiftet einen tieferen Sinn für die eigene Tätigkeit im Unternehmen. Digitale Transformation bedeutet natürlich auch, dass wir unsere Unternehmenskultur weiterentwickeln müssen. Grob gesagt gibt es drei Gruppen von Mitarbeitern in Bezug auf den Umgang mit der Digitalisierung: Die, die begeistert sind, dann die Unentschiedenen und die, die kritisch abwarten. Wir müssen alle mitnehmen. Durch die Förderung eines digitalen Mindsets und durch das Trainieren von Skills.

Health Relations: Mögen Sie uns hier Beispiele nennen?

Saskia Steinacker: Wir haben beispielsweise ein Reverse Mentoring Programm. Darin arbeiten Digital Natives, die von den Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung begeistert sind, mit den Executives im Tandem zusammen. Der Digital Native berichtet, welche Themen aus seiner Perspektive relevant sind. Der Executive gibt Einblick in das Business. Dadurch entsteht ein toller Austausch über Hierarchiestufen und Funktionen hinweg und möglicherweise eine neue Idee für digitale Geschäftsmodelle. Zudem haben wir ein Digital Fellowship Center, in dem unsere Talente beispielsweise ein Online-Training durchlaufen und sich dann in unserem Innovation Center in Boston Business Challenges stellen und Lösungen erarbeiten. Mit diesem neuen Erfahrungsschatz kehren sie in ihre Teams zurück und agieren dann als Botschafter. Wir kommen also aus unterschiedlichen Richtungen, aber alle Aktivitäten sind gut koordiniert.

Health Relations: In Ihrem Vortrag erwähnten Sie, dass Bayer auch mit Start-ups kooperiert. Wie vernetzen Sie sich mit diesen? Und wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Saskia Steinacker: Ja, wir arbeiten mit Start-ups zusammen und zwar schon erfolgreich. Wir investieren in ein globales Programm namens G4A, in dem wir mit Digital Health Start-ups an Lösungen für konkrete Business Challenges aus dem Pharmabereich arbeiten. Mit einigen Start-ups kollaborieren wir langfristig. Das nützt beiden Seiten. Denn was möchte ich erreichen als Start-up? Dass mein Geschäftsmodell skaliert. Ich brauche also jemanden, der mir Wege ins Healthcare-System bereitet. Das können wir. Im G4A-Team arbeiten junge Leute, die die Sprache der Start-ups sprechen. Das heißt, wir stellen uns darauf  ein, sind agil. Wir holen die richtigen Experten an Bord, die die Start-ups für die Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle benötigen. Unser Ziel ist es, in Teams zusammen zu experimentieren – zusammen daran zu arbeiten, einen Mehrwert für den Patienten zu schaffen.

Health Relations: Wie sieht genau sieht der Mehrwert aus?

Saskia Steinacker: Er beinhaltet vor allem die präzise und frühzeitige Diagnose von Krankheiten und das Angebot einer Therapie, die dem Patienten das Leben im Alltag erleichtert. Im Bereich F&E können digitale Technologien dazu beitragen, schneller wirksame Medikamente zu entwickeln. Ein Beispiel ist das Start-up „Turbine“ aus Budapest, das mit AI modelliert, wie Krebs auf molekularer Ebene funktioniert und wie Medikamente darauf wirken. Mit dieser Funktion können Sie Forschung simulieren, die normalerweise in-vitro stattfindet, und stattdessen potenzielle Arzneimittel in-silico testen. Dadurch können Medikamente schneller und kostengünstiger entwickelt werden. Die Gefahr in der Diskussion über Digitalisierung und AI ist, dass man sich in der Technologie verliert und am Ende etwas zur Verfügung stellt, das überhaupt nicht gebraucht wird. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen: Was löst Probleme, was braucht der Patient?

Health Relations: Wie erhalten Sie Antworten auf diese Fragen?

Saskia Steinacker: Wir arbeiten ganz klassisch mit Fokusgruppen, mit anonymisierten Daten, um in bestimmten Segmenten zu analysieren, aber auch in direktem Austausch mit den Patienten über digitale Channel. Wichtig ist, dass man sich als Partner versteht. Unsere Hauptfragen sind: Wie gestalten die Patienten ihr tägliches Leben, was brauchen sie und wie können wir sie unterstützen, damit sie ihr Leben besser managen können? Die Anforderungen sind natürlich je nach Krankheitsbild und Segment spezifisch. Anders als gegenwärtig können Sie mit der datenbasierten Forschung den einzelnen Patienten und spezielle Patientengruppen erfassen.

Health Relations: Auch der Arzt ist Teil dieses Systems. Wie sieht es mit ihm aus? Ist er der Treiber der Digitalisierung, oder sind es die Patienten?

Saskia Steinacker: Die Gesellschaft verändert sich, mittlerweile hat jeder ein Smartphone. Der Patient hat heutzutage ein ganz anderes Informationslevel. Getrieben wird also aus dem privaten Bereich, der sich zudem an der Schnelligkeit und dem Service, z. B. von Amazon und Google orientiert und somit Erwartungen hat, die der Patient auch im Gesundheitsbereich berücksichtigt sehen will.

Health Relations: Wie nehmen Sie die Ärzteschaft in diesem Kontext wahr?

Saskia Steinacker: Es besteht ein Unterschied zwischen Deutschland und anderen Ländern. Teilweise ist man im Ausland bereits weiter. Viele Ärzte trennen ihr privates und berufliches Leben, nutzen digitale Möglichkeiten im Privatem, übertragen diese Erfahrung aber nicht in die Praxis. Dieser Transfer muss bei einigen Medizinern sicherlich noch stattfinden. Was wichtig ist, ist das Verständnis, dass wir nur gemeinsam das Leben des Patienten verbessern können. Dass die Digitalisierung keine Bedrohung ist, und dass Ärzte auch weiterhin Entscheidungsträger bei der Wahl der Therapie sind. Wir als Pharmaunternehmen verstehen uns als Unterstützer und Partner. Es hilft uns nicht, wenn wir ein digitales Produkt oder eine App auf den Markt bringen, und der Patient prallt auf einen Arzt, der das nicht unterstützt. Deshalb ist uns wichtig, dass wir wirklich alle mitnehmen, die an diesem Ökosystem beteiligt sind.

Health Relations: Sie sprachen von neuen Geschäftsmodellen. Wie genau sehen die aus, wo will Bayer hin, in einem Satz?

Saskia Steinacker: Wir wollen zu einem Modell, dass den Patienten in den Mittelpunkt stellt und Behandlungen ermöglicht, die individuell auf ihn zugeschnitten sind.

Health Relations: Was ein tiefer Einschnitt in die Funktionsweise des Gesundheitssystems ist, oder? Stichwort Budgetierung?

Saskia Steinacker: Ja, dieser Wandel ist nichts, was von heute auf morgen geschieht. Deshalb ist es so wichtig, mit allen Stakeholdern zu sprechen. Mit Versicherungen, Ärzten, Kliniken, etc. Daran werden wir in Deutschland noch ein wenig länger arbeiten. Wir sehen aber in den USA bereits, dass es funktioniert.

Health Relations: Sie arbeiten global. Ihr Arbeitsplatz ist in New York und Sie sind Teil der Expertengruppen der Europäischen Kommission zum Thema Künstliche Intelligenz. Mit Ihrer Erfahrung: Wo steht Europa beim digitalen Wandel in Healthcare und was heißt das für Deutschland?

Saskia Steinacker: Grundsätzlich glaube ich, dass wir in Europa Stärken haben. Wir müssen uns nur überlegen, wo diese sind und jetzt nicht versuchen, ein zweites Google aufzubauen. Im B2C-Bereich werden wir nicht aufholen können. Im B2B-Bereich hingegen sind wir in einzelnen Segmenten sehr stark – Stichwort Robotik. Wir müssen allerdings sehr schnell sein, um uns hier zu behaupten. Ende Juli werden wir als Experten unsere Empfehlung an die Europäische Kommission geben, und diese Aussage wird Teil unserer Empfehlung sein. Eine Frage, die wir beantworten müssen, lautet zum Beispiel: Wie können wir es schaffen, innerhalb der Datenschutzvorgaben eine große Menge an anonymisierten Daten zusammenzutragen, um unsere Algorithmen zu trainieren? Fakt ist: Wir müssen unsere Infrastruktur ausbauen (inklusive Connectivity), unsere Forschung fördern und die Bedingungen für Start-up-Firmen optimieren, damit diese wettbewerbsfähig agieren können. Wir müssen in der Lage sein, Top-Talente zu halten. Die Europäische Union muss jetzt schnell agieren, damit wir nicht so stark zurückfallen, dass wir es kaum mehr aufholen können. Ich denke, wir als Unternehmen haben die Verantwortung, diesen Prozess zu begleiten und massiv in diese Richtung zu drängen.

Health Relations: Was sagt ihr Bauchgefühl diesbezüglich? Können wir ausreichend schnell agieren?

Saskia Steinacker: Ich bin positiv gestimmt, weil der Druck erkannt worden ist.

Health Relations: Es sind viele Bausteine, auf denen der digitale Wandel basiert. Welcher hat oberste Priorität?

Saskia Steinacker: Die Menschen mitzunehmen. Wir investieren in Prozesse, Technologien, neue Geschäftsmodelle. Aber ohne die Mitarbeiter wird das Ganze nicht zum Tragen kommen. Nur wenn wir an einem Strang ziehen, können wir das Leben für die Patienten verbessern.

Health Relations: Wo stehen Sie als Unternehmen bei diesem Prozess auf einer Skala von eins bis zehn, wobei eins schlecht und zehn ausgezeichnet ist?

Saskia Steinacker: Zwischen sechs und sieben mit einer starken Tendenz aufwärts. Wir sind seit zwei Jahren auf dieser Reise, haben die Infrastruktur gelegt, haben das Top-Management voll an Bord, haben die Talente identifiziert, haben eine Digitale Agenda für den Konzern, wissen, wie wir uns aufstellen wollen. Jetzt geht es an die konsequente Umsetzung. Wir haben noch viel zu tun. Aber ich bin sehr stolz darauf, dass wir das auf diese Weise gestalten.

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