Dr. Holger Bartz, Janssen: Der Patient bestimmt das Therapieziel mit

478
Holger Bartz von Janssen Cilag
Dr. med. Holger Bartz ist Facharzt für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsmedizin und seit 2022 Medizinischer Leiter und Geschäftsführer für den Bereich Medical & Scientific Affairs bei Janssen Deutschland und hält einen MBA in General Management. Vor seinem Einstieg in die Pharmaindustrie war Bartz einige Jahre klinisch tätig an den Unikliniken Bochum, Marburg und Heidelberg.© J.Rolfes/Janssen Deutschland
Patient:innen sitzen bei Gesundheitsentscheidungen im Drivers Seat, Ärzt:innen werden zu medizinischen Fachberater:innen. Value Based Healthcare verändert die Rollen von allen Playern. Kann das wirklich funktionieren?  Dr. med. Holger Bartz von Janssen Deutschland sagt: Ja. Denn es führt kein Weg daran vorbei.

Lesen Sie in diesem Beitrag:

  • Was genau Value Based Healthcare (VBHC) ist
  • Wie genau die neuen Rollen von Ärzt:innen und Patient:innen aussehen müssen, wenn VBHC funktionieren soll
  • Warum die Gestaltung eines Gesundheitssystems nicht nur Aufgabe der Politik, sondern auch von Pharmaunternehmen sein sollte
  • Wie genau Pharmaunternehmen das Gesundheitssystem mitgestalten können – und es bereits tun

Moderne Therapien wirken zunehmend präzise und individuell. Das ist es, was personalisierte Medizin ausmacht. Value Based Healthcare wiederum richtet sich nach dem Wert, dem Outcome von Therapien. Beides ergänzt sich – und beidem gehört die Zukunft. Das jedenfalls stellten die teilnehmenden Gesundheitsexpertinnen und -experten beim Branchentreff Janssen Open House fest.

Was ist Value Based Healthcare?
Value Based Healthcare (VBHC), übersetzt wertebasierte Gesundheitsversorgung, ist ein ganzheitlicher Versorgungsansatz, der 2006 von den beiden Harvard-Ökonomen Michael Porter und Elizabeth Teisberg erstmals vorgestellt wurde. Seither wird das Konzept international diskutiert. Das Ziel von VBHC ist, das beste gesundheitliche Ergebnis für jeden Menschen zu erreichen. Zentrale Kategorie ist dabei der „Wert“ (Value), womit nicht der monetäre Wert, sondern das Ergebnis (der Outcome) bei den Patient:innen gemeint ist.

Wie genau misst man denn Outcome und welche personalisierte Therapie kann der Patientin oder dem Patienten wirklich helfen? Fakt ist: In einem wertebasierten Gesundheitssystem hängt der Therapieerfolg auch davon ab, wie gut Ärzt:innen und Patient:innen miteinander kommunizieren und kooperieren. Damit das funktioniert, braucht es ein neues Rollenverständnis auf beiden Seiten – und ein neues Verständnis von guter Gesundheitsversorgung, sagt Dr. med. Holger Bartz, seit 2022 Medizinischer Leiter und Geschäftsführer für den Bereich Medical & Scientific Affairs bei Janssen Deutschland. Im Interview erläutert er, was das genau heißt und was sich aus seiner Sicht im Verhältnis von Ärzt:innen und Patient:innen ändern muss.

Health Relations: Value Based Healthcare ist ein eher sperriger Begriff. Wie würden Sie VBHC kurz und knapp auf den Punkt bringen?

Holger Bartz: Value Based Healthcare heisst: Weg von einer standardisierten Versorgung nach dem Prinzip „one pill fits all“, hin zu einer ganzheitlichen, möglichst individuellen Gesundheitsversorgung, die darauf abzielt, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln das bestmögliche Ergebnis bei den einzelnen Patient:innen zu erreichen. Dabei ist nicht entscheidend, wer eine Versorgungsleistung erbringt, ob stationär oder ambulant. Entscheidend ist, ob dadurch das im Einzelfall bestmögliche gesundheitliche Ergebnis erreicht wird. Um das bewerten zu können, müssen wir vorher festlegen, was wir erreichen wollen. Das Behandlungsziel ist die Basis für alle Therapieentscheidungen. Das ist nicht nur logisch, es deckt sich zu 100% mit meinem persönlichen Anspruch als Mediziner: Jeder Patient soll sich darauf verlassen können, von Anfang an die individuell am besten geeignete Therapie zu erhalten, ohne Zeitverlust und unnötiges Ausprobieren unterschiedlicher Therapieansätze.

Health Relations: Warum braucht es dafür ein anderes Verhältnis zu Patient:innen?

Holger Bartz: VBHC ist konsequent patienten- und ergebnisorientiert. Das Ziel ist, für jeden Menschen das bestmögliche gesundheitliche Ergebnis zu erreichen. In die Entscheidung, welches Ergebnis das im konkreten Fall ist, müssen die Betroffenen natürlich eingebunden sein. Das optimale medizinische Ergebnis ist nicht ja zwingend das, was der oder die Betroffene sich vorstellt. Auch während und nach Abschluss einer Behandlung ist das Feedback der Patient:innen maßgeblich. Das von ihnen wahrgenommene Ergebnis – der „Value“, den die Behandlung für sie hat – ist Maßstab für die Bewertung der Qualität und damit letztlich für die Erstattung. Ärzt:innen werden ihre Patient:innen künftig also verstärkt als medizinisch fachkundige Berater:innen bei Entscheidungen unterstützen. Patient:innen wiederum werden künftig als „Hüter:innen“ ihrer eigenen Gesundheit mehr Verantwortung übernehmen und mitentscheiden müssen.

„Das ist ein dickes Brett. Es der Politik rüberzuschieben und zu sagen „macht mal“ wäre weder fair noch realistisch.“

Health Relations: Neue Rolle für Ärzt:innen und Patient:innen, welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?

Holger Bartz: Damit Patient:innen verantwortungsvolle Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen können, müssen sie verstehen, worum es geht, welche Therapieoptionen es für sie gibt – und welche Chancen, aber möglicherweise auch Risiken damit jeweils verbunden sind. Dafür brauchen sie fundierte, laien-verständliche Informationen und ein vertrauensvolles Sparring durch den bzw. die behandelnden Ärzt:innen. Letztere müssen viel mehr mit ihren Patient:innen kommunizieren, erklären und beraten, verständlich und auf Augenhöhe. Dafür brauchen sie Zeit. Zeit, die im heutigen Versorgungsalltag oft fehlt bzw. nicht vergütet wird.

Health Relations: Was in den Aufgabenbereich der Gesundheitspolitik fällt. Warum beschäftigen Sie sich als Pharmaunternehmen damit?

Holger Bartz: Ganz einfach: Weil wir Teil der Versorgungslandschaft sind – und diese bestmöglich im Sinne von Patient:innen mitgestalten wollen. Unser Ziel ist ein nachhaltig leistungsfähiges und bezahlbares Gesundheitssystem, in dem das Potenzial des medizinisch-technischen Fortschritts im Sinne von Patient:innen bestmöglich ausgeschöpft wird. Für mich ist klar: Das erreichen wir nur mit wertbasierter Gesundheitsversorgung im Sinne von VBHC. Klar ist aber auch: Bis unser Gesundheitssystem das leisten kann, ist noch einiges zu tun. Im internationalen Vergleich war unser System immer eines der leistungsstärksten. Es ist jedoch darauf ausgerichtet, Krankheiten zu behandeln, wenn sie ausgebrochen sind. VBHC dagegen zielt darauf ab, die individuelle Gesundheit und Lebensqualität zu erhalten und zu verbessern. Dieses Gap – weg vom Krankheitsreparatursystem hin zum Gesundheitserhaltungssystem – müssen wir schließen. Das ist ein dickes Brett. Es der Politik herüberzuschieben und zu sagen ‚macht mal‘ wäre weder fair noch realistisch. Wenn wir, und damit meine ich alle Akteure im Gesundheitssystem, ein Gesundheitssystem haben wollen, in dem jeder Mensch die Chance auf die bestmögliche Versorgung hat und das auch noch finanzierbar ist, müssen wir Verantwortung übernehmen und gemeinsam nach Wegen suchen, wie das gehen kann. Patient:innen, Ärzt:innen und andere Leistungserbringer:innen, Kliniken, Krankenkassen, Fachgesellschaften, Politik – und natürlich forschende Unternehmen wie wir.

Health Relations: Was genau kann Pharma denn tun, um dieses Gesundheitssystem mitzugestalten? Ganz praktisch?

Holger Bartz: Eine ganze Menge. Ich fange mal bei uns selbst an: Unsere Kernkompetenz ist die Entwicklung von innovativen Arzneimitteln und Therapieansätzen. Damit diese ihre volle Wirksamkeit entfalten können, müssen sie rechtzeitig bei den Patient:innen ankommen, also im richtigen Moment von Ärzt:innen verordnet werden können. Diesen Zugang unterstützen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten, indem wir den Outcome unserer Medikamente balanciert darstellen, also den „Value“ für die Patient:innen sichtbar machen, durch Einbringen unseres methodischen Know-hows. Außerdem sind wir, ebenfalls ganz im Sinne von VBHC, offen für Erstattungsmodelle, die das Ergebnis einer Therapie bei den Betroffenen berücksichtigen. Darüber hinaus initiieren beziehungsweise unterstützen wir Projekte, die beweisen, dass Value Based Healthcare das Konzept für ein nachhaltig leistungsfähiges und finanzierbares Gesundheitssystem ist.

Health Relations: Was sind das für Projekte?

Holger Bartz: Eines dieser Projekte ist KAIT, ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Universitätsklinikum Leipzig. KAIT ist ein KI-basiertes System, das Ärzt:innen dabei unterstützt, für Patient:innen mit komplexen Bluterkrankungen den individuellen Therapiepfad zu identifizieren. KAIT liefert Daten und Evidenz – die eigentliche Therapieentscheidung treffen natürlich weiterhin die behandelnden Ärzt:innen. Wir haben konkrete Vorstellungen und Ideen, wie wir das Gap – weg von einem auf die Behandlung von Krankheiten, hin zu einem auf den Erhalt von Gesundheit und Lebensqualität ausgerichteten Gesundheitssystems – schließen können. Diese bringen wir regelmäßig in die öffentliche Diskussion ein, beispielsweise über die Medien, über Impulsvorträge oder in Diskussionen auf externen Veranstaltungen wie dem Berliner Hauptstadtkongress und nicht zuletzt in Gesprächen mit Ärzt:innen, Repräsentant:innen von Patient:innen-Organisationen, Krankenkassen und Kliniken und natürlich Politiker:innen. Wie gesagt: Wir bohren ein dickes Brett – das schaffen wir nur gemeinsam. Deshalb bringen wir gezielt Menschen zusammen, die wie wir etwas verändern möchten. Mit unserem Janssen Open House haben wir eine Plattform etabliert, auf der wir uns mit anderen Akteuren aus Gesundheitswesen und Gesellschaft vernetzen, ihre Perspektiven kennenlernen, Ideen und Strategien diskutieren – und gemeinsame Wege und Lösungen für ein besseres, wertorientiertes Gesundheitssystem erarbeiten.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein