Diversity im Unternehmen verankern: Wer sich engagiert, gewinnt

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Diversity in Pharmaunternehmen
Diversity: Es müssen Strukturen geschaffen werden, die zur Partizipation einladen. © master1305 / Adobe Stock
Wie lassen sich Diversity, Equity und Inclusion (DE&I) im Unternehmen etablieren? Welche Prozesse und Strukturen braucht es, damit schönen Worten Taten folgen? Eine Branchenübersicht mit Beispielen von MSD Deutschland, Novartis Deutschland, Abbott und UCB Pharma.

Wie funktioniert DE&I? Cases aus der Pharmabranche

MSD Deutschland: Unterstützung queerer Mitarbeitenden

Lutz Staacke
Lutz Staacke © MSD Deutschland

Ob es ein Stand oder ein Wagen war, weiß Lutze Staacke nicht mehr. Aber auf jeden Fall hat der Auftritt eines Mitbewerbers auf dem Christopher Street Day in Köln etwas in ihm ausgelöst. Den Wunsch, mit seinem Arbeitgeber MSD  Deutschland auch auf dem CSD präsent zu sein. Der Manager Customer Networks begann, die Rainbow Alliance bei MSD Deutschland zu unterstützen. Seit zwei Jahren leitet er das queere Mitarbeitende-Netzwerk. Es ist eines von insgesamt vier im deutschen Arm des Pharmaunternehmens verankerten Mitarbeitenden-Netzwerken.  Weitere sind das Women’s-, das Capability- und das Next Generation Network. Letzteres setzt sich unter anderem um einen generationsübergreifenden Austausch im Haus ein. Mitmachen kann jeder und jede, der und die Lust hat.

 

Christinba Puchstein über DE&I bei MSD Deutschland, Porträtfoto
Christina Puchstein © MSD Deutschland

„Wir haben Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion in unserer Unternehmensstrategie als geschäftliche Priorität verankert“, sagt Christina Puchstein. Sie verantwortet den Bereich Nachhaltigkeit bei MSD in Deutschland. Diversity, Equity und Inclusion (DE&I) fallen in ihren Themenbereich. „Wir haben deshalb ein lokales, cross-funktionales Team aus verschiedenen Menschen im Unternehmen, die den ganz klaren Auftrag von der Geschäftsführung haben, die Strategie auszuarbeiten und gemeinsam mit der Belegschaft mit Leben zu befüllen.“ Begonnen hat man mit DE&I als Grassroot-Bewegung. Mittlerweile professionalisiert man das Thema. Nichtdestotrotz soll es auch weiterhin aus der Belegschaft heraus in alle Bereiche der Wertschöpfungskette hineinwachsen. Funktioniert das? „Sicherlich“, sagt Lutz Staacke, „haben auch wir im Unternehmen den Querschnitt der Gesellschaft. Aber wir stoßen mit dem, was wir tun, auf viele geöffnete Türen.“

Abbott: Employee Networks und cross-funktionale Teams

Gregor Alzer, Abbott, Porträtfoto in einem Beitrag über DE&I in Deutschland in der Pharmabranche
Gregor Alzer © Abbott

Auch das Pharmaunternehmen Abbott hat verschiedene Mitarbeitende-Netzwerke mit Schwerpunkten wie der Förderung von Geschlechtergleichheit (Pride-Network), von Frauen in Führungspositionen (Women Leaders of Abbott) oder von Frauen in STEM-Berufen (W-STEM).

„Die Zahlen der Mitglieder pro Netzwerk variieren natürlich, aber beispielsweise hat das Women Leaders of Abbott in Deutschland über 500 Mitglieder“, sagt Gregor Alzer, HR-Director DACH bei Abbott.

 

UCB Pharma: Committee und Spezialgruppen gegründet

Julia Schenk über DE&I in der Pharmabranche, Porträtfoto
Julia Schenk © UCB Pharma GmbH Deutschland

Das Pharmaunternehmen UCB setzt ebenfalls auf Employee Networks und cross-funktionale Teams. „Es gibt ein DE&I Committee, bestehend aus hochrangingen Führungskräften, das die Ambitionen, Ziele und Prioritäten von DE&I bei UCB weiterentwickelt und fördert“, sagt Julia Schenk. Sie ist Communications Lead Germany und Mitglied des deutschen Diversity, Equity & Inclusion Councils, UCB Pharma GmbH Deutschland. Mehr als 200 Kolleg:innen engagierten sich als Enabler und Facilitator für Change Prozesse und Learning Journeys. „Dazu kommen auf lokaler Ebene Employee Resource Groups (ERGs), die sich für ein spezielles Thema einsetzen, beispielsweise „Women in Leadership“, Business Champions, die sicherstellen, dass DE&I auf allen Ebenen gelebt wird und in neun Ländern lokalen DE&I Councils.“ Insgesamt engagieren sich laut Unternehmen ca. 30 Prozent der Mitarbeitenden für DE&I Themen.

Novartis Deutschland: Führungspositionen ausgeglichen besetzen

Negen Poovan-Münstermann über DE&I in Pharma. Porträtfoto
Negen Poovan-Münstermann © Novartis Deutschland

Negen Poovan-Münstermann ist Personalchefin und Mitglied der Geschäftsführung Novartis Deutschland. Auch für sie hat das Thema DE&I eine persönliche Relevanz. „Ich selbst stamme aus Südafrika. In dieser ‚Rainbow Nation‘ kommen sehr unterschiedliche Menschen zusammen, Menschen verschiedener Hautfarben, verschiedener Religionen, verschiedener sozialer Hintergründe. Ich bin überzeugt davon, es sind genau diese Unterschiede, die uns zusammenhalten und unser Zusammenleben und Zusammenarbeiten bereichern.“  Novartis Deutschland hat unterschiedliche Rahmenbedingungen geschaffen, damit Führungspositionen ausgeglichen besetzt werden können, zum Beispiel das weltweite Global Women in Leadership Programm oder die 2014 am Standort Nürnberg gegründete Initiative WO.MAN@novartis. Das Netzwerk bietet Kolleginnen aller Unternehmensebenen ein Forum für Austausch und Diskussion zu Job, Familienvereinbarkeit sowie Aufstiegschancen.

 

Das lässt sich für Novartis auch gut an Zahlen belegen: 59% aller Beschäftigten sind Frauen, 46% der Führungskräfte weiblich. Außerdem hat sich Novartis den „UN Standards of Conduct for Business, Tackling Discrimination against Lesbian, Gay, Bi, Trans, & Intersex People“ verpflichtet, die sich für die Menschrechte von LGBTI-Mitarbeiter:innen und -Kund:innen einsetzen. „Für unsere Mitarbeiter:innen bieten wir zudem über das Jahr zahlreiche Veranstaltungen rund um das Thema Diversität und Inklusion an. So nimmt beispielsweise unser PRIDE-Netzwerk wieder am Christopher Street Day (CSD) in Nürnberg, München und Berlin teil.“

Wie verankert man DE&I im Unternehmen?

Abbott, MSD, Novartis und UCB haben die Charta der Vielfalt unterschrieben und bereits am Diversity Day teilgenommen. Aktionstage wie diese fördern den Austausch und schaffen Awareness.  Die eigentliche Challenge aber ist es, das Thema im Unternehmen selbst zu verankern. Welche Kniffe und Handlungsoptionen können dabei helfen? Einige Beispiele:

  • Präsenz und Ansprechbarkeit der Mitarbeitendennetzwerke: Lutz Staacke von MSD und sein Team organisieren Rainbow Talks und laden in diesem Rahmen unterschiedliche Expert:innen zu einem bestimmten Thema ein, beispielsweise Transmedizin oder Rassismus. „Wir wollen Mitarbeitende informieren, denn Themen rund um das Geschlecht und geschlechtliche Identität sind bei uns auch für unseren Arbeitsalltag relevant. Und was mir auch noch ganz wichtig ist: Seit meinem ersten Tag bei MSD trage ich meinen Mitarbeiterausweis in Regenbogenfarben und trage somit zur queeren Sichtbarkeit bei.“ Einmal im Monat steht sein Netzwerk auch im Sub, einem schwul-queeren Kommunikationszentrum in München, hinterm Tresen. „Es sind sogar schon Menschen extra vorbeigekommen, um mehr über MSD zu erfahren.“ Für Initiativen wie diese hat das Unternehmen ein Budget und ein Zeitkonto für Mitarbeitende eingeführt.
  • Ehrenamt und Engagement für DE&I-Projekte: 40 Stunden im Jahr dürfen MSD-Mitarbeitende in Ehrenämter investieren, zusätzlich bis zu 10 Prozent der Arbeitszeit können in DE&I-Projekte fließen. „Uns ist das strategische Dach wichtig, unter dem jedes Mitarbeitenden-Netzwerk und auch das cross-funktionale Team sich an den übergeordneten Zielen orientieren und Maßnahmen definieren kann. Wir entwickeln KPIs, um zu messen, ob wir unser Ziel erreichen“, erläutert Christina Puchstein.
  • KPIs & kontinuierliche Kommunikation: Auch UCB arbeitet mit KPIs, um den Erfolg von DE&I-Maßnahmen zu dokumentieren. Zu diesen gehören laut Julia Schenk eine konstant aktive und inklusive Kommunikation über interne Kanäle sowie verschiedene Schulungen. „Wir nutzen seit vielen Jahren eine inklusive und gendergerechte Sprache und diverse Bilder. Wir streben an, bei allen Entscheidungen zu prüfen, ob unbewusste Vorurteile oder Gewohnheiten den Prozess geprägt haben und fordern uns heraus, das zu hinterfragen, beispielsweise bei der Besetzung von Referent:innen für wissenschaftliche Vorträge und Medical Advisory Boards.“
  • Netzwerke bilden: Bei Abbott wiederum wird jedes Netzwerk von einem Mitglied aus der Führungsebene, einem Corporate Officer, unterstützt. „Die Networks entwickeln Trainings und Events, um ihre Mitglieder zu bestimmten Themen, wie zum Beispiel zielgerichtete und sensible Kommunikation oder das Abbauen von Vorurteilen, zu schulen sowie die berufliche Weiterentwicklung zu fördern“, sagt Gregor Alzer.

DE&I: Stärkung der Arbeitgebermarke

Das alles kann in die Arbeitgebermarke einzahlen. „Die Mitarbeiternetzwerke sind Teil unserer Bemühungen, eine vielfältige Belegschaft zu rekrutieren, zu entwickeln und zu halten, die die Gesellschaft widerspiegelt“, so Georg Alzer. Und er fügt hinzu: „Vielfalt in der Belegschaft trägt dazu bei, dass wir Produkte liefern, die den Bedürfnissen unserer Kunden entsprechen.“ Negen Poovan-Münstermann von Novartis Deutschland betont, dass einer der ROIs auch die Stärkung der Arbeitgebermarke sein kann. „Eine Willkommenskultur, geprägt von Chancengleichheit und der Anerkennung von Unterschieden, bei gleichzeitigem Abbau von Bürokratie und Sprachbarrieren, trägt meines Erachtens entscheidend dazu bei, Unternehmen in Deutschland und insbesondere Novartis für Fachkräfte attraktiv zu machen.“

Bei UCB fokussiert man sich 2024 vor allem auf die Themen „Diverses Recruiting“ und „Zugehörigkeit der Mitarbeitenden“. „Dazu gehören Projekte wie Leadership Coaching und eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit der zentralen Auslands- und Fachvermittlung für die Förderung der Einstellung von Menschen mit Behinderung“, so Julia Schenk. Weiterhin sollten alle Mitarbeitenden bei UCB ein Lernkontinuum durchlaufen, dass sich mit dem Abbau von unbewussten Vorurteilen und dem Aufbau eines inklusiven Mindsets beschäftigt. „Diese verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen anzuerkennen, hilft uns, unsere Annahmen in Frage zu stellen und unsere kulturelle Intelligenz zu steigern. Dies ermöglicht uns nicht nur die Entwicklung innovativer Lösungen, die den spezifischen Bedürfnissen der Patient:innen und der Gesellschaft am besten gerecht werden, sondern schafft auch mehr Vertrauen.“

Wie wichtig ist DE&I Healthcare Professionals?

Vertrauen. Gutes Stichwort. Wie wichtig ist DE&I eigentlich für HCPs? „Die Brands in Motion Umfrage 2023 ergab, dass über 70 Prozent der HCPs  sich nicht nur die Bereitstellung von Produkten wünschen, sondern auch einen Mehrwert für die Gesellschaft“, sagt Lutz Staacke. Es existiert eine Sensibilität für das Thema. Genau deshalb müssten Pharmaunternehmen es auch wirklich leben. „Es reicht nicht, beim CSD mitzulaufen. Vom Außendienst bis zur Vorstandsebene sollte Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion (kurz DE&I) gelebt werden, sonst sind wir hier schnell beim Pinkwashing.“

„Nachdem wir beispielsweise eines der ersten wichtigen HIV-Medikamente hatten, waren wir schon dicht an der queeren Community dran.“

Verstehen und verstanden werden: Die Berücksichtigung/Umsetzung von DE&I kann die Zielgruppenansprache enorm erleichtern. „Nachdem wir beispielsweise eines der ersten wichtigen HIV-Medikamente hatten, waren wir schon dicht an der queeren Community dran“, berichtet Lutz Staacke. „Und auch die HIV-Behandler:innen heutzutage sind oft aus dem queeren Spektrum. Deshalb ist es wichtig, auch queere Lebenswirklichkeiten innerhalb des Unternehmens zu fördern und deren Stimmen zu hören.“ Außerdem würde man Ärzte mit unterschiedlichen Materialien in der Patientenkommunikation unterstützen. „Mit dem Ethno-Medizinischen Zentrum in Hannover erstellen wir Informationsbroschüren in leichter Sprache und übersetzen diese in verschiedenste Sprachen“, erklärt Christina Puchstein. „Unsere Außendienstkolleginnen und -kollegen berichten, dass ihnen viele Ärzt:innen diese Informationsmaterialien nahezu aus den Händen reißen, weil sie ihren Patientinnen und Patienten in ihrer eigenen Sprache bestimmte Informationen zur Verfügung stellen können.“

„Mit einer der Diversität unserer Zielgruppen angepassten Kommunikation können wir dazu beitragen, dass sich alle gut informiert und aufgeklärt fühlen und wir auf Augenhöhe und in einer vertrauensvollen Beziehung miteinander interagieren.“

Novartis Deutschland  sieht das Engagement für Diversität, Gleichheit und Inklusion als Voraussetzung dafür, nah an der Lebenswirklichkeit unserer Ärzt:innen und Patient:innen dran sein und auf die vielfältigen Bedürfnisse der Patient:innen einzugehen. „Mit einer der Diversität unserer Zielgruppen angepassten Kommunikation können wir dazu beitragen, dass sich alle gut informiert und aufgeklärt fühlen und wir auf Augenhöhe und in einer vertrauensvollen Beziehung miteinander interagieren“, sagt Negen Poovan-Münstermann. Am 28. Mai wird das Unternehmen erneut den Diversity Tag unterstützen, mit einer Reihe von Social-Media-Aktivitäten auf unserem Novartis Deutschland LinkedIn-Kanal. „Auf diesem Kanal und unserer Homepage spiegeln wir darüber hinaus die unterschiedlichsten Aspekte und Blickwinkel von Diversität, indem wir persönliche Geschichten und Erfahrungen unserer Kolleg*innen teilen.“

Fazit

DE&I-Engagement zahlt sich vielfältig aus, zum Beispiel im Recruiting und in der Mitarbeiterbindung. Eine bessere Arbeitskultur kann zu mehr Produktivität führen. Außerdem kann DE&I im Unternehmen die Arzt- und Patientenkommunikation und das medizinische Outcome verbessern. Damit das funktioniert, muss das Thema im Unternehmen fest verankert sein.

  • Es müssen Strukturen geschaffen werden, die zur Partizipation einladen.
  • Die Führungsebene muss den Prozess begleiten und unterfüttern.
  • Ein eigenes finanzielles Budget und ein Zeitkonto für Mitarbeitende schaffen Akzeptanz im Unternehmen.
  • DE&I sollte in alle Bereiche der Wertschöpfungskette hineinreichen.

Das geht nicht von heute auf morgen – und ist schlichtweg Arbeit. Christina Puchstein bringt es so auf den Punkt: „Es führt kein Weg an DE&I vorbei, wenn wir zukunftsfähig bleiben und in der Lage sein wollen, die komplexen Probleme, die vor unserer Tür stehen, zu lösen.“

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