3D-gedruckte Medikamente, ein Stethoskop mit integriertem EKG, ein Spiel für Diabetespatienten und ihre Angehörigen mit Augmented Reality. Klingt nach Silicon Valley? Falsch! Diese Innovationen kommen aus Deutschland und stehen, in Pappschachteln verstaut, im Büro von Dr. Tobias Gantner, Gründer der HealthCare Futurists.
„Ich brauche kein shiny-corner-Office mit Springbrunnen“, sagt Dr. Tobias Gantner in seinem 10-Quadratmeter-Büro in Köln. Schachteln stapeln sich bis zur Zimmerdecke, in denen 3D-Drucker, VR-Brillen, Roboter und andere Geräte verpackt sind. Die Unordnung im Raum ist eine schöne Metapher zum Stand der Digitalisierung unseres Gesundheitssystems: Es gibt viele Ideen, aber an der Umsetzung hapert es noch. Bei der letzten OECD-Umfrage zum Digitalisierungsgrad der Medizin landete Deutschland auf dem vorletzten Platz.
Dagegen will Dr. Tobias Gantner mit seiner HealthCare Futurists GmbH etwas tun. Er hat in leitenden Positionen bei Siemens, Novartis, Bayer Healthcare und Johnson & Johnson gearbeitet. Eigentlich ist er gelernter Transplantationschirurg, aber er hat auch jeweils einen Abschluss in Jura, BWL und Philosophie. Wieso vier Abschlüsse? „Ich brauche BWL-Kompetenz, um ein Unternehmen zu führen, juristische Kompetenz, um mich nicht veräppeln zu lassen.“ Die HealthCare Futurists hat er vor fünf Jahren mit eigenem Geld gegründet. Büros gibt es in Köln, Heidelberg, Belfast und Beverly Hills. Mit 150 Personen arbeitet er zusammen, meistens projektbezogen. Angestellte gibt es fast keine.
Bereits im letzten Jahr haben wir mit Dr. Tobias Gantner über den schmerzhaften Prozess einer Digitalisierung der Healthcare-Branche gesprochen. Jetzt sagt er: „Man kann auch mit einem 386er ganz gut Textverarbeitung machen. Die Frage ist nur, sind wir damit auf der Höhe der Zeit oder doch eher mit 5K+, HDMI und Total Immersion?“ Er hat eine Schatzkarte anfertigen lassen, um ausländischen Unternehmen zu erklären, wie in Deutschland die Geldströme im Healthcare-Bereich fließen. Die größte Schatztruhe wird von einem Drachen des Gemeinsamen Bundesausschusses bewacht. Um zu ihm zu gelangen, muss man die Tarifvertrags-Klippen (Collective Contract Cliffs) und den Forschungs-Gebirgsrücken (Mountains of Research) überwinden. Tunnel gibt es keine, Healthcare-Pioniere nehmen den Umweg durch die Talschluchten.
Und was macht die HealthCare Futuristen nun genau? Auch hierzu gibt es eine Karte, dieses Mal nach dem Muster eines U-Bahn-Streckennetzplans. Worte wie „Teleconsult“, „Medical Devices“ und „Data Safety“ stehen darauf. Der Plan liest sich wie die Skizze für das nächste Positionspapier des Bundesministeriums für Gesundheit. Ein ganzes Streckennetz muss her, um aufzuzeigen, an wie vielen Punkten man ansetzen kann, wenn es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens geht.
„Ich sage nicht: Alles muss weg, nur das Digitale ist toll.“
„Ich sage nicht: Alles muss weg, nur das Digitale ist toll. Ich bin für die Überprüfung von Strukturen“, so Dr. Tobias Gantner. Um Innovationen voranzutreiben, organisiert sein Unternehmen Hackathons, in denen Teilnehmer für zwei Tage zusammenkommen, um neue Ideen für einen digitalisierten Gesundheitsmarkt auszubrüten. Außerdem hat er in Kooperation mit Audi und einem Pharmaunternehmen ein Produkt entwickelt, das bluetooth-fähige Daten verschickt und dem Betriebssystem des Autos Hinweise zu dem Gesundheitszustand des Fahrers meldet. Auch über eine Ohne-Arzt-Praxis für strukturschwache Räume hat er mit seinem Team nachgedacht. In Schleswig-Holstein wird eine solche Praxis, die nur von einer medizinischen Fachangestellten besetzt ist, nun eingerichtet.
Die Liste an Produktideen ließe sich noch weiter fortsetzen. Dort wo Dr. Tobias Gantner Potenzial sieht, investiert er oder entwirft selbst ein Produkt. Er ist ein Fan der Idee des Homo Ludens – nur über das freie, spielerische Handeln findet der Mensch seinen Lebenssinn. In seiner täglichen Praxis als Unternehmer bedeutet das: Wenn eine Idee scheitert, wird über die Umsetzung der nächsten nachgedacht.
Nur heute ist er in seinem Kölner Büro. Am nächsten Tag geht es nach Genf, um ein gemeinsames Projekt mit der WHO zu planen. Am darauffolgenden Tag nach Wien, wieder einen Tag später nach London. Dr. Tobias Gantner zieht als Handlungsreisender für digitalisierte Medizin von Tür zu Tür. Klinken, Praxen, Apotheken, Organisationen, Verbände – es gibt viele Player im deutschen Gesundheitswesen, die überzeugt werden müssen. Zum Glück besitzt er seine Schatzkarte, mit der er sich Orientierung verschafft. Und da ist ja außerdem noch dieser Leitspruch seines Unternehmens, der ihn vorantreibt. „Wir müssen Digitalisierung jetzt gestalten, sonst gestaltet sie uns.“