Influencer: Fluch oder Segen? Merck macht weltweit neugierig – mit Markenbotschaftern

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Sind Influencer in der Pharma-Unternehmenskommunikation sinnvoll? Natürlich, sagt Christine Blum-Heuser, Senior Manager Brand Communication bei Merck. Ein Gespräch über neue Wege in der B2B-Kommunikation.

Im August 2016 startete Merck seine internationale #catchcurious-Kampagne (Health Relations berichtete). Diese läuft bis heute, und das laut Konzern mit bester Performance. Der Erfolg sei vor allem den Multiplikatoren, den Influencern, geschuldet, mit denen Merck für diese Kampagne eng zusammen arbeitet. Weltweit arbeitet der Pharma-Konzern Merck im Rahmen der Initiative mit rund 50 Influencern zusammen, die das Thema und die Kampagne vorantreiben. Wir haben mit der Projektleiterin der Curiosity Initiative, Christine Blum-Heuser, über Influencer-Marketing und seine Grenzen gesprochen.

Health Relations: Frau Blum-Heuser, das Ziel Ihrer Curiosity-Initiative ist es, durch die enge und interaktive Einbindung von Multiplikatoren in die #alwayscurious Kampagne Neugier im Namen von Merck zu verbreiten und jeden damit anzustecken, lese ich auf Ihrer Website. Schon mal vorweg gefragt: Ist das gelungen?

Christine Blum-Heuser: Auf jeden Fall. Wir arbeiten im Moment mit gut 50 Influencern weltweit zusammen. Wir versorgen sie mit Informationen, die sie dann aufbereiten, auf ihren Blogs platzieren, Videos produzieren und so weiter. Und wir beobachten, dass das Engagement in Social Media bei Influencern weitaus höher ist als wenn wir Informationen über Paid Media ausspielen.

Facts

Start der #catchCurious Kampagne: August 2016
Erreichte Ziele: In weniger als fünf Monaten erreichte der Curiosity-Hub 1,6 Mio. Besucher und 3,2 Mio. Seitenaufrufe. 34,8 Mio. Reaktionen in den Sozialen Netzwerken. 50.000 vollständig durchgeführte Neugier-Tests mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 4:26 Min.
Kommunikationsmaßnahmen: Influencer, Video-, Display-, Interactive- und Search-Ads. 3D-animierter Neugier-Test, eine interaktive Infografik zur Studie sowie redaktioneller Content zum Thema Neugier
Quelle: EconForum

Health Relations: Wie messen Sie das Engagement?

Christine Blum-Heuser: Wir tracken wirklich alles bei der Kampagne. Wie oft wird der Content kommentiert, gelikt oder geteilt. Wir nutzen die üblichen Parameter. Bei der Performance geht uns nicht darum, die breite Öffentlichkeit, sondern sehr gezielt die für unser Business relevanten Zielgruppen zu erreichen. Und das in unseren drei Geschäftsbereichen Healthcare, Life Science und Performance Materials und den dazugehörigen Themenfeldern.

Health Relations: Nach welchen Kriterien wählen Sie die Influencer, mit denen Sie zusammenarbeiten, aus?

Christine Blum-Heuser: Wir sprechen eigentlich nicht vorrangig von Influencern, sondern verwenden bevorzugt den Begriff Experten, weil wir hier ja in einem reinen B2B-Umfeld unterwegs sind. Die rund 50 Experten, mit denen wir eng zusammenarbeiten, kommen aus allen drei für uns relevanten Geschäftsbereichen und sind ganz unterschiedlich gestreut. Wir setzen bei der Auswahl länderorientierte Schwerpunkte, je nach Geschäftsschwerpunkt, den wir in dem betreffenden Land verfolgen. In manchen Ländern wie Taiwan oder Korea haben wir vorwiegend Experten, die aus dem Bereich Performance Material kommen. In anderen Ländern ist das sehr gemischt. Wir analysieren normalerweise, welche Experten in Social Media aktiv sind. Wer redet über unsere Themen, wo haben wir große thematische Überschneidungen? Und mit wem haben wir eine möglichst große Schnittmenge bei den Zielgruppen? Das sind unsere zwei Kriterien. Es geht nicht um eine riesige Reichweite der Influencer. Es geht uns vor allem darum, ob wir eine große Überschneidung bei Zielgruppen und Themen haben.

Health Relations: Was sind das für Experten, die Sie ins Boot holen?

Christine Blum-Heuser: Das ist ganz unterschiedlich. Das sind Biologen, Physiker, Experten im Technologiebereich, Psychologen oder Science-Blogger. Wir wollen das Thema Neugier möglichst umfassend aus allen Richtungen betrachten. Healthcare hat natürlich aufgrund der gesetzlichen Regulierungen seine eigenen Maßgaben und Herausforderungen. Hier gehen wir bei der Auswahl und der Zusammenarbeit mit den Experten sehr gezielt im Rahmen der vorgegebenen Gesetze und Regularien vor.

Health Relations: Eileen Piskorz von fischerAppelt formulierte im Interview mit Health Relations, dass Pharma oft Probleme habe, die Zügel aus der Hand zu legen und den Influencern den Freiraum zu geben, den sie brauchen, um erfolgreich zu arbeiten. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Christine Blum-Heuser: Im Prinzip stimmt das. Aber wir bewegen uns mit unserer Curiosity-Initiative auf einer höheren Ebene weil sie weder produkt- noch therapiespezifisch ist. Diese Ebene ist völlig unkritisch und auch positiv besetzt. Und das gilt dann auch für die Zusammenarbeit mit unseren Experten. Sie sind normalerweise sehr begeistert von dem Thema und sehr offen für die Zusammenarbeit. Natürlich muss man als Unternehmen immer prüfen, mit wem man kooperieren möchte. Und das ist natürlich besonders wichtig, wenn man sich im Therapiebereich bewegt. Dann hat das eine ganz andere Gewichtung und regulatorische Herausforderungen. Mit unserer Initiative bewegen wir uns aber in einem unkritischen Bereich. Wir geben unseren Experten inhaltlich keine Vorgaben mit auf den Weg. Wir versorgen sie mit Material, kontrollieren aber nicht, was sie damit machen. Wir geben die Kontrolle tatsächlich ab. Aber das Thema Neugier ist auch so begeisternd, ansteckend und involvierend, dass wir das auch ohne Bedenken tun können.

Health Relations: Dennoch wird es eine vertragliche Regelung für die Zusammenarbeit geben, oder?

Christine Blum-Heuser: Sicherlich. Wir vereinbaren mit unseren Experten einen Scope of Work. Trotzdem legen diese natürlich einen sehr hohen Wert darauf, dass sie selber inhaltlich hinter den zu kommunizierenden Inhalten stehen. Letztendlich geht es bei der Kommunikation in diesem Bereich immer um Glaubwürdigkeit. Um Glaubwürdigkeit der Themen, die vom Unternehmen kommen, aber auch um die Glaubwürdigkeit der Influencer, die diese verbreiten. Deshalb ist die inhaltliche Übereinstimmung zwischen Konzern und Experte so wichtig. Nur wenn die passt, werden gute Experten überhaupt erst bereit sein, mit einem Unternehmen zusammenzuarbeiten.

Health Relations: Bei erfahrenen Influencern weiß man, dass diese ihr Geschäftsmodell kennen und können. Sie arbeiten aber auch mit Experten, die erstmals als Influencer unterwegs sind. Und sich vielleicht auch gar nicht so bezeichnen würden. Wie sieht es da mit dem Vertrauen aus?

Christine Blum-Heuser: Ja, da sind viele, die noch nie zuvor als Influencer gearbeitet haben. Wir sind da an vielen Stellen in der Branche Vorreiter. Dennoch, auch hier gilt: Wir arbeiten nur mit Experten, die zu unseren Inhalten passen und sich selber von unserem Thema anstecken lassen. Das ist mitunter eine sehr interessante, fruchtbare Zusammenarbeit, denn auch seitens der Experten kommen Anregungen für unsere Initiative. Wichtig ist uns bei der Zusammenarbeit, wie immer die aussehen mag: Es muss für alle Beteiligten transparent sein und der Content als Kooperation mit uns deutlich gekennzeichnet sein. Das haben wir in unseren Vereinbarungen stehen. Für die Follower ist diese Kennzeichnung übrigens gar kein Problem. Das Engagement ist trotzdem sehr viel höher als beispielsweise bei Paid-Media-Inhalten.

Health Relations: Sie sagten, bei der Zusammenarbeit mit Healthcare-Influencern gehen Sie besonders sensibel vor.

Bei der Zusammenarbeit mit Healthcare-Experten reicht es nicht, die Zusammenarbeit im Post  lediglich zu kennzeichnen, etwaige Honorare müssen seitens des Unternehmens offengelegt werden.

Christine Blum-Heuser: Ja. Der Healthcare Bereich ist stark reguliert. Bei der Zusammenarbeit mit Healthcare-Experten reicht es nicht, die Zusammenarbeit im Post lediglich zu kennzeichnen, etwaige Honorare müssen seitens des Unternehmens offengelegt werden. Eine der Herausforderungen ist zum Beispiel auch, dass wir bei der Gestaltung von Honoraren in diesem Bereich natürlich strengen Vorgaben unter Antikorruptionsgesichtspunkten folgen. Normalerweise werden Berater- oder Speaker-Verträge von Pharmaunternehmen mit Healthcare Professionals aufgrund ihrer fachlichen Expertise auf Stundenbasis berechnet. Und nicht auf der Basis von Social Media-Reichweite, wie das im Social-Media-Bereich üblich und notwendig ist. Hinzu kommen noch weitere ländertypische Anforderungen, was beispielsweise die Höhe der Stundensätze angeht. In manchen Ländern kann dies dazu führen, dass wir mit Influencern zusammen arbeiten, die zwar inhaltlich zu uns passen, aber eben keine Healthcare Professionals sind.

Health Relations: Heißt, der Weg, mit Influencern in Healthcare zu arbeiten, ist definitiv kein leichter?

Christine Blum-Heuser: Genau, aber wir lieben Herausforderungen. Wir haben hier genauestens mit unseren Compliance-Kollegen festgelegt, was entsprechend der gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben für pharmazeutische Unternehmen geht und was nicht. In diesem Bereich muss die Branche Veränderungen initiieren, aber diese Veränderungen können dauern.

Health Relations: Aber diese Anstrengung lohnt sich, weil Sie Zielgruppen erreichen, die Sie sonst wahrscheinlich nur schwer ansprechen könnten.

Christine Blum-Heuser: Ja, durchaus. Die Mediennutzung verändert sich rapide. Es geht darum, neue und innovative Wege zu finden, um mit unterschiedlichen Zielgruppen in den Dialog zu kommen. Wir haben unsere Zielgruppen eng definiert. Das sind eben die Opinion Leader, zum Teil auch Akademiker, die in der Forschung und Lehre tätig sind. Das sind aber auch Innovationspartner, die für uns interessant sind. Und auch potentielle Mitarbeiter. Und die findet man über solche Wege sehr gut. Und das auf eine glaubwürdige Art und Weise.

Health Relations: Abschließend: Wann machen Influencer in B2B Sinn – und wann sollte ein Unternehmen lieber die Finger davon lassen?

Christine Blum-Heuser: Wenn man wirklich nur Wert auf Reichweite legt, dann ist dieser Weg schwierig. Wenn man eine tiefe inhaltliche Platzierung anstrebt, dann ist diese Zusammenarbeit mit Sicherheit fruchtbar. Und dann funktioniert das auch. Aber es ist mit Sicherheit ein additives Element. Alleine auf Influencer kann man die Kommunikation nicht aufbauen.

Christine Blum-Heuser Senior Manager Brand Communication Group Communications | Branding & Strategic Projects
Foto: ©Lichtbildatelier Eva Speith, Darmstadt.

Christine Blum-Heuser ist Projektleiterin der Curiosity-Initiative. Außerdem ist sie als Senior Managerin im Bereich Brand Communication und Group Communications, Branding & Strategic Projects, für Merck tätig.

 

 

 

 

Beitragsbild: © Merck / Screenshot aus „Curious Minds“

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