Pharma-Außendienst: „Zuhören, nicht zutexten!“

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Pharma-Außendienst: Die neue Rolle in und nach der Corona-Krise
Dipl.-Ing. Jürgen Jeske ist Leiter Strategie & Konzeption bei der Hamburger acrobat.werbeagentur plus gmbh © acrobat.werbeagentur plus
Verändert COVID-19 das Kommunikationsverhalten von ÄrztInnen dauerhaft? Ja, sagt Jürgen Jeske, Leiter Strategie & Konzeption bei der Hamburger acrobat.werbeagentur plus gmbh. Digital persönlich in und nach der Krise – über Herausforderungen für den Pharma Außendienst.

Health Relations: Herr Jeske, lassen Sie uns über digitale Kanäle sprechen. Welche nutzen ÄrztInnen bevorzugt?

Jürgen Jeske: Es gibt eine ganze Reihe von Erhebungen und Studien zu präferierten Kanälen. Alle zeigen weitgehend dieselbe Tendenz. Ärzte präferieren Informationen per E-Mail oder Newsletter. Medizinische Plattformen und medizinische Social Networks. Das gute, alte Postmailing hat in Corona-Zeiten eine Renaissance erlebt, danach folgen Websites von Fachmedien und Healthcare-Unternehmen. Das variiert ein wenig von Facharztgruppe zu Facharztgruppe und APIs, aber im Wesentlichen zeigt sich über alle Arztgruppen hinweg ein ähnliches Bild.

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Health Relations: Was heißt das für den Außendienst?

Jürgen Jeske: In einer Coliquio-Umfrage vom März 2020 zu Beginn der Pandemie ließ eine Zahl aufhorchen: Nur 5% der Ärzte waren demnach daran interessiert, dass der Außendienst sie nun virtuell statt Face-to-Face besucht. Dieses deutlich geringere Interesse an persönlichen oder virtuellen Außendienstbesuchen wird auch nach der Pandemie nicht wieder auf das Vor-Pandemie-Maß steigen. Dennoch würde man einen Fehler machen, wenn man meinte, man könne den Außendienst einfach durch digitale Kanäle ersetzen. Nein, er ist immer noch gefragt, nur ist seine Rolle eine andere.

„Wenn wir uns bewusst machen, dass 2021 nahezu 70% aller Ärzt*innen Digital Natives sind, dann ist auch klar, dass diese mit digitalen Kanälen und digitalen Werkzeugen vertraut sind.“

Health Relations: Wie sieht seine Rolle denn aus?

Jürgen Jeske: Er muss mehrdimensional agieren und auch mit allen digitalen Kanälen vertraut sein und sie bespielen können. Und: Das, was kommunikativ zu leisten ist in der Vertriebskommunikation, Stichwort Omnichannel, das kann nur von einem Team aus unterschiedlichen Disziplinen geleistet werden, deren Kommunikationsaktivitäten synchronisiert werden müssen.

Health Relations: Welche Erwartungshaltungen haben Ärzte und Ärztinnen denn grundsätzlich gegenüber digitaler Kommunikation?

Jürgen Jeske: Was bei Ärzten gefragt ist, ist Unabhängigkeit, Flexibilität und Selbstbestimmtheit, wenn es darum geht, sich fachlich zu informieren oder Kontakt aufzunehmen. Self-Service- und On-demand-Angebote wie medizinische Plattformen, medizinische Social Networks, Websites von Fachmedien und Healthcare-Unternehmen erfüllen diesen Wunsch nach selbstbestimmter Information in besonderem Maße – wenn sie gut gemacht sind. Kommunikation und Informationsbeschaffung auf digitalem Weg sind deutlich bedarfsgetriebener als beim persönlichen Face-to-Face-Kontakt.

Health Relations: Hat sich das während der Pandemie verschärft?

Jürgen Jeske: Ja. Die Notwendigkeit digital zu kommunizieren, hat in Corona-Zeiten diese ohnehin deutliche Entwicklung lediglich beschleunigt und verstärkt. Es gibt dazu eine interessante Studie von McKinsey und dem Healthcare Consulting-Unternehmen Across Health von 2017. Diese segmentiert die Ärzteschaft in die Archetypen „Unabhängige“, „Transaktionsbezogene“, „Wissensucher“ und „Beziehungssuchende“. Der Anteil der „Unabhängigen“ – das sind übrigens diejenigen, die vom Außendienst auch gern Verweigerer genannt werden – ist in den vergangenen 15 Jahren um etwa 40% gestiegen. Unabhängige sehen wenig Wert in der Kommunikation mit dem Außendienst, sondern möchten sich selbstbestimmt informieren, zum Beispiel anhand von Studien und nachgewiesener Evidenz, um ihre klinischen Entscheidungen zu treffen. (Quelle: McKinsey’s Archetype segmentation model & Across Health Navigator 2016-2017, Anm. der Redaktion)

Health Relations: Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ÄrztInnen nicht den Ruf haben, gegenüber digitalen Innovationen aufgeschlossen zu sein…

Jürgen Jeske: Wenn wir uns bewusst machen, dass 2021 nahezu 70% aller ÄrztInnen Digital Natives sind, dann ist auch klar, dass diese mit digitalen Kanälen und digitalen Werkzeugen vertraut sind. Sie sind zu einem Zeitpunkt in die Berufstätigkeit gestartet, als das Internet bereits Allgemeingut war. Für sie ist es also selbstverständlich, digitale Tools und Online-Angebot in Ausübung ihres Berufs zu nutzen. Diese Zielgruppe erwartet, dass ihnen das, was technisch möglich ist, auch angeboten wird!

„Irrelevante Infos, zu hohe Frequenz – und schon wird Ihr E-Mailing-Angebot oder der Newsletter ein für alle Mal abbestellt.“

Health Relations: Schauen wir auf den Content. Wie muss der beschaffen sein, um bei der Zielgruppe zu landen?

Jürgen Jeske: Wenn ich digital unterwegs bin, will ich a) schnell erfassen können, ob der Content für mich, für meine Fragestellung relevant ist, und b) nicht lange Texte lesen oder langatmige Videos anschauen. Es muss präzise, kurz und knackig sein. Und es darf, neben der sicher notwendigen Fachsprache, sprachlich den weniger offiziösen digitalen Gepflogenheit entsprechen.
In Sachen Format sieht die Rangfolge in etwa so aus – sie variiert leicht von Facharztgruppe zu Facharztgruppe:
• Kurze, prägnante Texte
• Infografiken
• kurze Zusammenfassungen als Video
• Unterlagen in Papierform
• Webinare
• ausführliche schriftliche Informationen
Aber auch hier Vorsicht vor Verallgemeinerungen: Die Bedürfnisse, Wünsche und Anforderungen der ÄrztInnen und HCPs werden, wie überall anders auch, immer granularer und vielfältiger. Deshalb sollte im Hinblick auf Format, Länge, Kanal und Inhalt für jeden was dabei sein. Denn DEN einen Arzt oder DIE eine Ärztin gibt es nicht.

Health Relations: Ärzte bevorzugen Mails, sagten Sie. Das Mailaufkommen steigt bei uns allen spürbar, gerade jetzt in der Pandemie, in der alle digital kommunizieren. Läuft der Außendienst nicht Gefahr, dass Inhalte unter den Tisch fallen?

Jürgen Jeske: Absolut, ja! Da kann die Mail schon mal zum Nervfaktor werden, auch wenn die Ärzte diesen Kanal als Ihren favorisierten angeben. Irrelevante Infos, zu hohe Frequenz – und schon wird Ihr E-Mailing-Angebot oder der Newsletter ein für alle Mal abbestellt. Dann sind sie draußen. Und Ihr Konkurrent bleibt deshalb im Rennen, weil seine E-Mails und Newsletter Nutzen stiften, weil sie relevant sind, indem sie zum Beispiel Hilfestellung für den Klinik- und Praxisalltag geben, Services liefern und Angebote machen, die Patientenkommunikation leichter machen.

Health Relations: Heißt, der Content darf alles andere als banal sein. Der Inhalt zählt.

Jürgen Jeske: Genau. Ihr Content muss relevant sein, Ihr Angebot muss Nutzen stiften. Zweiter Grundsatz: Botschaft vor Kanal. Oft wird der Fehler gemacht, beim Begriff „Multichannel“ oder „Omnichannel“ als Erstes zu überlegen, welche Kanäle die geeigneten sind, um Ihre Zielgruppe zu erreichen. Klingt erstmal logisch. Aber: Wenn Ihre Botschaft nicht aufmerksamkeitsstark ist und Relevanz nicht erkennbar, dann nützt Ihnen auch der beste Kanal zur Verbreitung Ihrer Botschaft nichts! Also – umgekehrt verfahren: erst die Botschaft, dann der Kanal.

„Persönliche Beziehungen sind erfolgreich, wenn ich zuhöre und die Bedürfnisse meines Partners versuche zu erfüllen. Im Privaten wie im Geschäftsleben“

Health Relations: Wie verhält es sich mit der Nutzung von E-Mailing-Tools von Drittanbietern? Kann das eine sinnvolle Alternative sein, um den Arzt zu erreichen?

Jürgen Jeske: Definitiv! Parallel zum eigenen E-Mailing können beispielsweise die Newsletter von medizinischen oder fachbezogene Online-Plattformen genutzt werden. Die werden im Zweifelsfall auch von kritischen Zeitgenossen als nicht so nervig empfunden, weil sie von einem vermeintlich „neutralen“ Anbieter kommen und sind daher im Kommunikations-Mix eine gute Ergänzung zum eigenen E-Mailing- und Newsletter-Angebot.

Health Relations: Wie persönlich kann der digitale Kontakt sein? Gibt es so etwas wie digitale Empathie?

Jürgen Jeske: Ja, klar. Digitale Empathie ist möglich. Wir erleben das gerade seit Beginn der Corona-Pandemie täglich. Die Möglichkeit zum digitalen Austausch über Zoom, Teams etc. im 1:1-Call, in digitalen Qualitätszirkeln und Netzwerk-Events hat vielfach eine Nähe geschaffen, die viele von uns den Online-Kanälen nicht zugetraut haben. Auch dort ist menschliche, empathische Interaktion möglich. Und eine empathische Beziehung herzustellen, ist eigentlich ganz einfach: Persönliche Beziehungen sind erfolgreich, wenn ich zuhöre und die Bedürfnisse meines Partners versuche, zu erfüllen. Im Privaten wie im Geschäftsleben. Indem ich frage: Was brauchst Du von mir? Also: Zuhören statt zutexten! Apropos zuhören: Der Healthcare-Consulter Across Health hat zugehört und die Frage gestellt, was sich HCPs wünschen und hat diese Antworten bekommen.

Health Relations: Wie sehen diese aus?

Jürgen Jeske: Kontakte mit HCP- und Arzt-Kollegen erleichtern, z.B. Online-Peer-to-Peer-Treffen, Zugang zu relevanten Personen und medizinischen Daten in Ihrem Unternehmen bieten, mir helfen, meine Patienten zu unterstützen und besser zu versorgen, flexibler und kundenorientierter bei der Kontaktaufnahme mit mir sein. Thematisch wie zeitlich. Das sind ganz präzise formulierte Wünsche nach Hilfe und handfester Unterstützung, für die der Außendienst Lösungen liefern und Taten sprechen lassen kann. Natürlich nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit seinem Team. Der Außendienst und sein Team werden zum Lösungspartner und Möglichmacher: Die beste Voraussetzung für eine langfristige, nachhaltige und empathische Kundenbeziehung – auch in digitalen Zeiten.

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