Jana Sonntag, AstraZeneca: „Daten sind vorhanden. Wir lassen sie nur gerne mal liegen“

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Auf der Handelsblatt-Jahrestagung am 16. März sprach Jana Sonntag, Vice President Innovation & Business Excellence bei AstraZeneca Deutschland, über die Treiber von Value-based Healthcare. © AstraZeneca / Quelle: Handelsblatt Jahrestagung Pharma 2022
Auf der Handelsblatt-Jahrestagung am 16. März sprach Jana Sonntag, Vice President Innovation & Business Excellence bei AstraZeneca Deutschland, über die Treiber von Value-based Healthcare. © AstraZeneca / Quelle: Handelsblatt Jahrestagung Pharma 2022
Auf der Handelsblatt-Jahrestagung Mitte März sprach Jana Sonntag, VP Innovation & Business Excellence bei AstraZeneca Deutschland, über die Treiber einer nutzenorientierten Gesundheitsversorgung. Wichtigste Voraussetzung für sie ist der richtige Umgang mit Daten.

Den Patientennutzen erhöhen und Investitionen gezielt hierfür einsetzen – so lautet der Grundgedanke einer Value-based Healthcare. Die Logik dahinter ist bestechend: Die größere Patientenorientierung kostet unserem Gesundheitssystem am Ende auch weniger Geld. Denn ist die Ergebnisqualität bei einer Therapie schlecht, gehen die Betroffenen auch häufiger zur Ärztin. Die Folgen: Es geht nicht nur den Patienten mit den Ergebnissen nicht gut. Ihre Behandlung ist auch teurer.

Eine Value-based Healthcare orientiert sich daher an dem Menschen und seinem Behandlungserfolg. Ein Treiber dieser wertbasierten Gesundheitsversorgung ist der kulturelle Wandel in Deutschland. Denn: Patient:innen und ihre Angehörigen fragen immer mehr nach dem Sinn einer Behandlung, sind informierter. Hinzu kommen Technologien, die durch das Sammeln von Daten neue Möglichkeiten in der Patientenversorgung eröffnen.

Statt Schnappschuss einen Film gestalten

Viele Unternehmen und Institutionen setzen sich daher verstärkt dafür ein, Value-based Healthcare auf breiter Ebene durchzusetzen. „Für ein nachhaltiges Gesundheitssystem müssen wir uns weniger am Volumen, also der Zahl der Leistungen, und mehr am Ergebnis orientieren“, meint auch Jana Sonntag. Daten sind für sie der entscheidende Hebel.

Als Beispiel bemüht sie das Bild eines schnappschussartigen Arztbesuches: „Jeder kennt es: Man ist in Eile, muss zum Arzt, in den fünften Stock, der Fahrstuhl ist blockiert. Dann wird der Blutdruck gemessen und die Ärztin wundert sich. Hätte sie aber stattdessen auch auf meine Uhr oder mein Handy gesehen, lägen ihr Daten über einen langen Zeitraum vor.“ Die Entscheidungsgrundlage wäre in diesem Fall eine andere, davon ist sie überzeugt.

Von der Register-Agentur bis zum Forschungsdatenzentrum

„Aus dem Daumenkino nebeneinander gelegter Schnappschüsse“ möchte Jana Sonntag langfristig einen Film gestalten. „Um Krankheitsbilder besser zu verstehen und Lösungen zu finden“, sagt sie. Daten seien vorhanden. „Wir lassen sie nur gerne mal liegen.“ Die Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen oder indikationsspezifische Register sind Beispiele für solche Datenquellen.

Der Knackpunkt dabei: Nur 25 Prozent der Gesundheitsdaten hierzulande liegen – laut AstraZeneca – in einer strukturierten, standardisierten und interoperablen Form vor. Heißt beispielsweise: Es bringt nichts, viele dezentrale, unabhängige Register zu haben. Ein zusammengeführtes Register, etwa über eine Register-Agentur, wäre für Jana Sonntag eine mögliche Lösung.

Auch die Idee eines Forschungsdatenzentrums hat für sie das Potenzial eines „Gamechangers“. AstraZeneca sei in jedem Fall bereit, Daten aus klinischen Studien mit einer solchen Institution zu teilen. Der Weg zu Value-based Healthcare sei in jedem Fall noch ein langer und führe über fünf Brücken.

5 Brücken auf dem Weg zu einem nutzenorientierten Modell

1. Patient:innen mehr in die Verantwortung holen

„Wir brauchen die informationelle Selbstbestimmung.“ Das ist Hebel Nummer 1 für Jana Sonntag. Ihr Grundgedanke dabei ist eigentlich einfach: Sind Menschen informierter und kritischer in Bezug auf ihre Behandlung, können sie auch nach digitalen Lösungen fragen oder Doppeluntersuchungen vermeiden.

Voraussetzung hierfür ist transparente Aufklärung. „Und zwar in einer Sprache, die Betroffene verstehen, und an den Orten, die für sie zugänglich sind“, so Jana Sonntag. Durch Information entsteht Vertrauen. Und genau das braucht es, wenn Menschen ihre Gesundheitsdaten teilen sollen. Für Jana Sonntag heißt das: Patient:innen müssen wissen, dass ihre Daten zweckgemäß eingesetzt werden und sicher sind. Opt-out-Lösungen könnten dabei ein Schlüssel sein, um die informationelle Selbstbestimmung zu stärken. Gemeint hiermit ist ein Aufweichen des strikten Opt-ins bei der Zugriffsgestaltung für Nutzer:innen der Elektronischen Patientenakte (EPA).

2. Value-based Healthcare braucht gemeinsame Standards

Eine weitere Hürde auf dem Weg seien fehlende Definitionen und Standards. Kritikpunkt ist zum einen der Rechtsrahmen. Hier gibt es für Jana Sonntag noch jede Menge Hausaufgaben auf nationaler Ebene. Ein Anfang könne sein, den Datenschutz über alle 16 Bundesländer zu vereinheitlichen. Hinzu kommen technische Standards für alle datenerhebenden Quellen, die in allen Organisationen gelten sollten. „Die Bundesregierung hat einige Gesetze angekündigt in Bezug auf die Register und Gesundheitsdatennutzung. Hier gibt es mit Sicherheit Anknüpfungspunkte.“

3. „Wir brauchen Begeisterung“

Veränderung braucht Zeit. Veränderung ist häufig auch unbequem. Dann geht es darum, durchzuhalten und weiterzumachen. Damit das gelingt, „brauchen wir Begeisterung“, davon ist Jana Sonntag überzeugt. Bislang seien nur wenige Patient:innen auf die Idee gekommen, ihren Arzt darum zu bitten, Behandlungsdaten in die Elektronische Patientenakte zu übertragen. Aus Ärztesicht stelle sich daher die Frage: Warum soll ich das tun, wenn das Bedürfnis nicht da ist?

Es müsse also auf breiter Ebene Begeisterung für die Digitalisierung geschaffen werden. Vom Patienten über die Sprechstundenhilfe bis zur Ärztin bräuchten die Menschen die Erkenntnis, dass ihnen Gesundheitsdaten das Leben erleichtern können.

4. Geschwindigkeit der Daten entscheidend

Daten leben von Aktualität. „Sechs Monate Zeitverzug sind nicht aktuell“, betont Jana Sonntag. Einheitliche Standards könnten die Geschwindigkeit entscheidend erhöhen. Darüber hinaus müssten Prozesse viel häufiger auch mal kritisch beleuchtet, verändert und neugestaltet werden. Nur dann könne sich die Nutzung von Daten weiter entfalten und das reale Versorgungsgeschehen abbilden.

5. Value-based Healthcare braucht Kooperation

Ohne Zusammenarbeit, kein datenbasiertes Gesundheitssystem – so der Tenor des Vortrags von Jana Sonntag. Gute Netzwerkarbeit aller relevanten Player ist für sie Lösung und Vision zugleich. Hierzu zählen Pharma- und MedTech-Unternehmen, ebenso wie die Politik, die Krankenkassen, Ärzt:innen und Apotheker:innen. Aber auch Meinungsbildner, wie die Presse, sind ein wichtiges Bindeglied in ihrem Kooperationsmodell. „Denn erst einmal müssen datenbasierte Lösungen bekannt sein, um sie zu etablieren.“

Fazit: Der Weg zu Value-based Healthcare

Wichtigste Voraussetzung für Value-based Healthcare ist, laut Jana Sonntag, der richtige Umgang mit Daten. Mehr Geschwindigkeit, Begeisterung und Zusammenarbeit gehören unbedingt dazu, wenn der Weg zu einer nutzenorientierten Gesundheitsversorgung gelingen soll. Hinzu kommen einheitliche rechtliche und technische Standards. Auch die Aufklärung und Selbstbestimmung der Patient:innen ist ein wichtiger Treiber von Value-based Healthcare.

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